vorgehend VG Koblenz, 3 L 935/18.KO
Tenor
I. Die Beschwerde der Antragsteller
gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Koblenz vom 2. Oktober 2018
hinsichtlich der Ablehnung des Antrags auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes
wird zurückgewiesen.
Die Antragsteller tragen die Kosten des
Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird
für das Beschwerdeverfahren auf 5.625,00 € festgesetzt.
Der Antrag auf Bewilligung von
Prozesskostenhilfe zur Durchführung des Beschwerdeverfahrens wird abgelehnt.
– 7 B 11346/18.OVG –
II. Die Beschwerde der Antragsteller
gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Koblenz vom 2. Oktober 2018
hinsichtlich der Ablehnung des Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe
wird zurückgewiesen.
Die Antragsteller tragen die Kosten des
Beschwerdeverfahrens.
– 7 D 11347/18.OVG –
Gründe
I.
Die
Beschwerde hinsichtlich der Ablehnung des Antrags auf Gewährung vorläufigen
Rechtsschutzes hat keinen Erfolg.
Die
Ausführungen der Antragsteller im Beschwerdeverfahren, auf die sich die Prüfung
des Senats beschränkt, enthalten keine Gründe, aus denen der angegriffene
Beschluss insoweit abzuändern wäre (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 3, 6 VwGO).
1. Die
Antragsteller wenden sich gegen die Feststellung des Verwaltungsgerichts, in
ihrem Fall greife § 60a Abs. 2 Satz 2 AufenthG nicht. Danach ist die
Abschiebung eines Ausländers auszusetzen, wenn seine Anwesenheit im
Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen eines Verbrechens von der
Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil
ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre. Die
Beschränkung der Beschwerde auf diesen Duldungsgrund ergibt sich aus der
Beschwerdeschrift vom 11. Oktober 2018, die sich ausschließlich auf
strafrechtliche Fragen bezieht. Dort behaupten die Antragsteller, ihre
Abschiebung käme einer Strafvereitelung gleich. Nur die Staatsanwaltschaft und
das Strafgericht dürften beurteilen, ob das Verhalten des Arztes, der sie bei
der Abschiebung begleitet habe, als Verbrechen zu werten sei. Sie wenden sich
ferner gegen die Annahme, der Verbrechenstatbestand in § 225 Abs. 3 StGB sei
nicht gegeben. Wegen der Erkrankungen der Antragstellerin zu 1) habe bei ihr
die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bestanden, die für eine höhere
Bestrafung gegenüber dem Grundtatbestand der Misshandlung von Schutzbefohlenen
gefordert werde. In diesem Kontext sind auch die am 12. Dezember 2018
vorgelegten Atteste zu sehen.
2. Das
Verwaltungsgericht hat es im Ergebnis zu Recht abgelehnt, eine einstweilige
Anordnung mit dem Inhalt zu erlassen, die Abschiebung der Antragsteller nach §
60a Abs. 2 Satz 2 AufenthG auszusetzen. Zutreffend ist das Verwaltungsgericht
davon ausgegangen, dass es sich bei dem am 29. August 2018 gestellten Eilantrag
um einen Antrag auf Änderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts zum 9.
August 2018 (3 L 781/18.KO) handelt, auf den § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO analog
anzuwenden ist. Insoweit wird auf die Gründe des angegriffenen Beschlusses
verwiesen (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO).
Ein
Antrag nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO auf Änderung eines Beschlusses in Verfahren
des einstweiligen Rechtsschutzes hat nur Erfolg, wenn sich aus neu
vorgetragenen Umständen zumindest die Möglichkeit einer Abänderung der früheren
Entscheidung ergibt, wobei der Streitgegenstand, abgesehen von der Frage, ob
überhaupt neue Umstände vorliegen, derselbe ist wie im Ausgangsverfahren (vgl.
Kopp/Schenke, VwGO, 24. Aufl. 2018, § 80 Rn. 196). Die Strafanzeige der
Antragsteller vom 22. August 2018 und das von der Staatsanwaltschaft Gießen
eingeleitete Ermittlungsverfahren (Az.: 404 Js 33479/18, s. Schriftsatz vom 11.
Oktober 2018) rechtfertigen eine Änderung des Beschlusses vom 9. August 2018
nicht. Das Verwaltungsgericht hatte dort festgestellt, den Antragstellern fehle
für eine Aussetzung der Abschiebung der nach § 123 Abs. 1 VwGO erforderliche
Anordnungsanspruch. Daran hat sich nichts geändert.
3. Ein
Anspruch der Antragsteller auf die Aussetzung ihrer Abschiebung nach § 60a Abs.
2 Satz 2 AufenthG ist nicht hinreichend wahrscheinlich. Sie haben nicht glaubhaft
gemacht, dass die Voraussetzungen dieser Duldungsvorschrift gegeben sind. § 60a
Abs. 2 Satz 2 AufenthG hindert eine Abschiebung nur, wenn die Erklärung einer
Staatsanwaltschaft oder eines Strafgerichts vorliegt, wonach der betroffene
Ausländer für ein Strafverfahren wegen eines Verbrechens benötigt wird. Eine
solche Erklärung ist unabhängig davon erforderlich, ob ein Strafverfahren
bereits förmlich eingeleitet wurde (vgl. Hailbronner, AuslR, Stand: 09.2018, §
60a Rn. 91). Die Antragsteller haben keine Erklärung der für die
Strafverfolgung zuständigen Stellen vorgelegt, aus der sich ergibt, dass ihre
Anwesenheit für das auf ihre Strafanzeige hin eingeleitete Verfahren
erforderlich ist. Eine Erklärung dieses Inhalts findet sich auch nicht in den
Akten.
Es ist
im Rahmen von § 60a Abs. 2 Satz 2 AufenthG nicht zu prüfen, ob eine solche
Erklärung zu erteilen wäre. Weder die Ausländerbehörde noch die
Verwaltungsgerichte haben zu entscheiden, ob die Anwesenheit eines Ausländers
für ein Strafverfahren wegen eines Verbrechens erforderlich ist. Darüber
befinden Staatsanwaltschaften und Strafgerichte in eigener Zuständigkeit und
Verantwortung (vgl. Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, Stand: 09.2018, § 60a Rdnr.
273). Diese Kompetenzzuweisung ergibt sich aus dem Wortlaut der Vorschrift und
der Regelungssystematik. Durch die Verwendung der Wörter „erachtet wird“ macht
der Gesetzgeber deutlich, dass es ihm im Hinblick auf die Erforderlichkeit der
Anwesenheit eines Ausländers für ein Strafverfahren auf die Einschätzung der für
dieses Verfahren zuständigen Stellen ankommt. Systematisch ist die Regelung im
Zusammenhang mit dem folgenden Satz 3 von § 60a Abs. 2 AufenthG zu sehen,
wonach einem Ausländer eine Duldung erteilt werden kann, wenn dringende
persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen dies erfordern. Der
Gesetzgeber sah das dort eröffnete Ermessen als auf Null reduziert an, wenn der
Ausländer als Zeuge für ein Strafverfahren wegen eines Verbrechens benötigt
wird (s. die Einzelbegründung im Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung
aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 23.
April 2007; BT-Drs. 16/5065, S. 187). Damit entzog er in diesen Fällen die
Entscheidung über die Erteilung einer Duldung der Ermessenskompetenz der
Ausländerbehörden (vgl. Kluth/Breidenbach, in: BeckOK AuslR, 20. Ed. 1.
November 2018, § 60a AufenthG Rn. 22).
4. Die
Antragsteller haben ferner nicht glaubhaft gemacht, dass ihnen wegen der
Strafanzeige vom 22. August 2018 eine Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG
zu erteilen wäre. Eine Duldung nach dieser Vorschrift käme in der vorliegenden
Konstellation nur in Betracht, wenn nach ihrem Vorbringen und auf Grund der
Aktenlage offensichtlich wäre, dass die Antragsteller Opfer eines Verbrechens
waren, für dessen Aufklärung sie in Deutschland bleiben müssten. Neben § 60a
Abs. 2 Satz 2 AufenthG kommt eine Duldung wegen eines Strafverfahrens
allenfalls in Betracht, wenn der betroffene Ausländer erhebliche persönliche
Interessen an der Strafverfolgung hat. Denn dem öffentlichen
Strafverfolgungsinteresse trägt bereits § 60a Abs. 2 Satz 2 AufenthG Rechnung
(vgl. Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, Stand: 09.2018, § 60a Rdnr. 276). Ein
erhebliches persönliches Interesse ist anzunehmen, wenn der Ausländer im
Strafverfahren nicht nur als Zeuge in Betracht kommt, sondern Opfer ist. Bei
Verbrechensopfern kann das Fehlen einer Erklärung über die Erforderlichkeit der
Anwesenheit nicht dazu führen, dass ihnen keine Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz
3 AufenthG erteilt werden könnte, zumal das Nichtvorliegen dieser Erklärung
vielfältige Gründe haben kann. Ein Eilverfahren auf Erteilung einer solchen
Duldung kann aber nur Erfolg haben, wenn ohne weiteres ersichtlich ist, dass
die Staatsanwaltschaft oder das Strafgericht die Anwesenheit des Opfers eines
Verbrechens für das Strafverfahren als sachgerecht erachten würden (vgl.
BayVGH, Beschluss vom 21. Juli 2015 – 10 CS 15.859 –, juris, Rn.76). Dadurch
wird zudem verhindert, dass eine Strafanzeige nur gestellt wird, um eine
Duldung zu erhalten.
Hier
kann nicht ohne weiteres angenommen werden, dass die Antragstellerin zu 1)
Opfer eines Verbrechens wurde. Als Verbrechenstatbestand kommt allein die
qualifizierte Misshandlung von Schutzbefohlenen gemäß § 225 Abs. 3 StGB in
Betracht. Die Anwendung dieser Strafnorm erfordert es, dass der Täter
vorsätzlich handelte (vgl. Stree/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder,
StGB-Komm., 29. Aufl. 2014, § 225 Rn. 15). Weder der Strafanzeige vom 22.
August 2018 noch dem Schriftsatz der Antragsteller an die Staatsanwaltschaft
Gießen vom 11. Oktober 2018 lässt sich entnehmen, dass der Arzt, der die
Abschiebung begleitete, die Antragstellerin zu 1) in irgendeiner Art und Weise vorsätzlich
habe schädigen wollen.
5. Die
Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Die
Streitwertfestsetzung folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr.
1 GKG. Der Senat orientiert sich dabei an Nr. 1.5 und Nr. 8.3 des
Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (LKRZ 2014, 169).
Mangels
hinreichender Erfolgsaussichten in der Hauptsache war den Antragstellern keine
Prozesskostenhilfe zur Durchführung des Beschwerdeverfahrens zu bewilligen (§
114 Abs. 1 Satz 1 ZPO i.V.m. § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
II.
Die
Beschwerde gegen die Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist
ebenfalls unbegründet.
Mit
der Zurückweisung der Beschwerde gegen die Ablehnung des Antrags auf
einstweiligen Rechtsschutz wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts
unanfechtbar. Damit steht fest, dass keine hinreichenden Erfolgsaussichten für
das erstinstanzliche Verfahren im Sinne von § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO i.V.m. §
166 Abs. 1 Satz 1 VwGO gegeben waren.