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Rechtsprechungsarchiv
des Oberverwaltungsgerichts
Rheinland-Pfalz e.V.
Deinhardpassage 1
56068 Koblenz

7 D 11099/18.OVG

GerichtOVG Rheinland-PfalzAktenzeichen7 D 11099/18.OVG
EntscheidungsartBeschlussDatum
25.09.2018
veröffentlicht in
rechtskräftigJa
Leitsatz
= 7 B 11097/18.OVG

Die Zustimmung zur Übernahme der Verantwortung für die Ausstellung von Reiseausweisen i.S.v. Art. 2 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 des Europäischen Übereinkommens über den Übergang der Verantwortung für Flüchtlinge vom 16. Oktober 1980 – EATRR – setzt zumindest voraus, dass eine stillschweigende Billigung des Zweitstaates für den dauerhaften Aufenthalt des Flüchtlings vorliegt.

Solch eine stillschweigende Billigung kann nicht aus der rein verfahrensakzessorischen Gestattung des Aufenthalts während des laufenden Asylverfahrens nach § 55 Abs. 1 Satz 1 AsylG hergeleitet werden, welche unmittelbar kraft Gesetzes eintritt.

Auch nachfolgend erteilte Duldungen stellen insbesondere dann keine derartige Billigung dar, wenn die zuständigen Behörden den Flüchtling zu keinem Zeitpunkt darüber im Unklaren gelassen haben, diesen nach dem für ihn negativen Abschluss des Asylverfahrens in der Bundesrepublik Deutschland in den Erststaat rückführen zu wollen.

Der nach Art. 2 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 EATRR mögliche Verantwortungsübergang für die Ausstellung von Reiseausweisen erfordert ein den dauernden Aufenthalt des Flüchtlings in Bezug nehmendes Verhalten des Zweitstaates.


Der Beschluss ist rechtskräftig.
RechtsgebieteAusländerrecht
SchlagworteAbschiebung, Abschiebungsandrohung, Aufenthalt, Aufenthaltsgestattung, Aufenthaltsrecht, Billigung, Duldung, Duldungsbescheinigung, Flüchtling, Gestattung, Gültigkeit, Gültigkeitsdauer, Reiseausweis, Reiseausweis für Flüchtlinge, Stillschweigen, stillschweigende Billigung, Übergang, Verantwortung, Verantwortungsübergang, Vertrauen, Vertrauenstatbestand, Zustimmung, Zuständigkeit, Zuständigkeitsübergang, Zweijahresfrist, Zweitstaat
NormenAsylG § 35,AsylG § 55,AsylG § 55 Abs 1,AsylG § 55 Abs 1 S 1,AsylG § 55 Abs 3,AsylG § 63,AsylG § 63 Abs 1,AsylG § 63 Abs 1 S 1,AsylG § 67,AsylG § 67 Abs 1,AsylG § 67 Abs 1 Nr 4,AsylG § 67 Abs 1 Nr 4 Alt 1,EATRR Art 2,EATRR Art 2 Abs 1,EATRR Art 2 Abs 1 S 1,EATRR Art 2 Abs 1 S 1 Alt 1,EATRR Art 2 Abs 1 S 1 Alt 2,EATRR Art 2 Abs 1 S 1 Alt 3,EATRR Art 2 Abs 2,EATRR Art 2 Abs 2 S 1,EATRR Art 2 Abs 2 S 1c,EATRR Art 2 Abs 3,EATRR Art 4,EATRR Art 4 Abs 1,EATRR Art 4 Abs 1 S 2
Volltext

vorgehend VG Neustadt a.d. Weinstraße, 2 L 942/18.NW

 

Tenor

I. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße vom 13. August 2018 hinsichtlich der Ablehnung des Antrags auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Der Streitwert wird für beide Rechtszüge auf 3.750,00 € festgesetzt.

– 7 B 11097/18.OVG –

II. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße vom 13. August 2018 hinsichtlich der Ablehnung des Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Prozesskostenhilfebeschwerdeverfahren wird abgelehnt.

– 7 D 11099/18.OVG –

 

                                                         Gründe

I.

1 

Die Beschwerde hinsichtlich der Ablehnung des Antrags auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat keinen Erfolg. Sie ist unbegründet.

2 

Die Ausführungen der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren, auf die sich die Prüfung des Senats nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt, enthalten keine Gründe, aus denen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts abzuändern oder aufzuheben ist (§ 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO).

3 

Die Antragstellerin begründet ihre Beschwerde damit, dass die Verantwortung für die Erteilung oder eine Verlängerung des Reiseausweises für sie als in Italien anerkannter Flüchtling nach Art. 1 des Gesetzes zu dem Europäischen Übereinkommen über den Übergang der Verantwortung für Flüchtlinge vom 30. September 1994 (BGBl. I S. 2645) i.V.m. Art. 2 Abs. 1 des Europäischen Übereinkommens über den Übergang der Verantwortung für Flüchtlinge vom 16. Oktober 1980 – EATRR – von Italien auf die Bundesrepublik Deutschland übergegangen sei, weil sie sich schon allein während ihres Asylverfahrens seit Antragstellung am 4. Februar 2015 bis zum Erlass des ablehnenden Bescheides durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 20. März 2017 länger als zwei Jahre in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten habe, womit ihr der Aufenthalt im Sinne des Art. 2 Abs. 1 EATRR gestattet worden sei. Nach Ablauf der zwei Jahre habe sie darauf vertrauen dürfen, in Deutschland bleiben zu können. Ab zwei Jahren faktisch hingenommenen Aufenthalts sei daher ein Zuständigkeitsübergang anzunehmen.

4 

Das Verwaltungsgericht ist in seinem Beschluss vom 13. August 2018 indes zu Recht davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen nach Art. 2 Abs. 1 EATRR in offensichtlicher Weise nicht vorliegen. Aufgrund der bis zum 5. Mai 2019 fortwährenden Gültigkeit des der Antragstellerin in Italien ausgestellten und von ihr erstmals am 9. August 2018 bei dem Antragsgegner vorgelegten Reiseausweises für Flüchtlinge scheidet ein Verantwortungsübergang nach Art. 2 Abs. 1 Satz 1 Alt. 3 oder nach Art. 2 Abs. 3 i.V.m. Art. 4 Abs. 1 Satz 2 EATRR von vornherein aus, da diese Übergangstatbestände entweder ein die Gültigkeitsdauer in Bezug nehmendes Verhalten des Zweitstaates (Art. 2 Abs. 1 Satz 1 Alt. 3 EATRR) oder gar einen Ablauf der Gültigkeitsdauer (Art. 2 Abs. 3 i.V.m. Art. 4 Abs. 1 Satz 2 EATRR) erfordern. Auch die tatbestandlichen Voraussetzungen der damit noch allein in Betracht zu ziehenden Regelungen in Art. 2 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 und Alt. 2 EATRR sind nicht erfüllt.

5 

Nach Art. 2 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 EATRR gilt die Verantwortung nach Ablauf von zwei Jahren des tatsächlichen und dauernden Aufenthalts im Zweitstaat mit Zustimmung von dessen Behörden als übergegangen. Es fehlt vorliegend jedoch an der Zustimmung der deutschen Behörden. Eine Zustimmung setzt zumindest voraus, dass eine stillschweigende Billigung des Zweitstaates für den dauerhaften Aufenthalt des Flüchtlings vorliegt. Der bloße tatsächliche und dauernde Aufenthalt genügt hierfür allein nicht (vgl. SächsOVG, Beschluss vom 12. April 2016 – 3 B 7/16 –, juris, Rn. 14; OVG Nds, Beschluss vom 2. August 2018 – 8 ME 42/18 – juris, Rn. 36).

6 

Deutsche Behörden haben einen dauerhaften Aufenthalt der Antragstellerin nicht stillschweigend gebilligt. Nach ihrer Einreise im November 2014 war der Antragstellerin nach am 18. November 2014 erfolgter Ausstellung der Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchende der Aufenthalt nach § 55 Abs. 1 Satz 1 AsylG kraft Gesetzes „zur Durchführung des Asylverfahrens“ gestattet. Die auf das Asylverfahren bezogene Beschränkung ist auch auf den der Antragstellerin in diesem Zusammenhang nach § 63 Abs. 1 Satz 1 AsylG ausgestellten Bescheinigungen über die Aufenthaltsgestattung auf Seite 1 deutlich erkennbar vermerkt. Mit Vollziehbarkeit der im Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 20. März 2017 unter Ziffer 3 enthaltenen und auf § 35 AsylG gestützten Abschiebungsandrohung ist die Gestattung, also das rein verfahrensakzessorische Aufenthaltsrecht, kraft Gesetzes nach § 67 Abs. 1 Nr. 4 Alt. 1 AsylG erloschen, was vorliegend mit Erlass des im Eilverfahren ergangenen ablehnenden Beschlusses des Verwaltungsgerichts Trier vom 5. Mai 2017 – 5 L 4301/17.TR – der Fall war. Dass der kraft Gesetzes und ohne individuelle Willenserklärung mögliche und legale Aufenthalt der Antragstellerin während des noch laufenden Asylverfahrens, in welchem gerade noch keine abschließende Entscheidung über ein mögliches langfristiges bzw. auf längere Zeitdauer angelegtes Aufenthaltsrecht ergangen war, keine stillschweigende Billigung für einen dauerhaften Aufenthalt darstellen kann, folgt schließlich auch aus der Regelung in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Buchstabe c EATRR. Wenn sogar Zeiten eines noch laufenden Rechtsmittelverfahrens nur bei einer zugunsten des Flüchtlings getroffenen Rechtsmittelentscheidung bei Berechnung der Zweijahresfrist einzubeziehen sind, können die vorausgehenden Zeiten erst recht keine Berücksichtigung finden (vgl. auch § 55 Abs. 3 AsylG). Ein sich direkt aus dem Gesetz ergebendes vorübergehendes und rein verfahrensakzessorisches Aufenthaltsrecht kann hierfür keinesfalls genügen (vgl. Bundesverwaltungsgericht der Schweiz, Urteil vom 17. November 2014 – D-4742/2014 – Ziffer 5.6, verfügbar unter: http://www.bvger.ch/publiws/download?decisionId=dde90c4e-c7cc-4f99-8303-2b7e8709467b). Auf die tatsächlichen – offensichtlich im Zusammenhang mit den außergewöhnlich hohen Zugangszahlen von in der Bundesrepublik Deutschland in den Jahren 2015 und 2016 schutzsuchenden Menschen stehenden – Umstände, warum zwischen dem Zeitpunkt der Asylantragstellung am 4. Februar 2015 und dem Erlass des ablehnenden Bescheides am 20. März 2017 ein Zeitraum von über zwei Jahren verstrichen ist, kommt es daher nicht an. Mangels eines geschaffenen Vertrauenstatbestandes kann die Antragstellerin alleine hieraus jedenfalls keinen Rechtsanspruch herleiten.

7 

Die der Antragstellerin nachfolgend erteilten Duldungen konnten ebenfalls keine stillschweigende Billigung eines dauerhaften Aufenthalts darstellen, ungeachtet des Umstandes, dass seitdem noch kein Zeitraum von zwei Jahren verstrichen ist. Das Verwaltungsgericht hat in diesem Zusammenhang zutreffend ausgeführt, dass der Antragsgegner die Antragstellerin zu keinem Zeitpunkt im Unklaren darüber gelassen hat, sie nach dem für sie negativen Abschluss des Asylverfahrens nach Italien abschieben zu wollen. Dies lässt auch schon die in den ausgestellten Duldungsbescheinigungen aufgenommene auflösende Bedingung, wonach die Duldung mit Bekanntgabe des Abschiebetermins erlischt (vgl. zur Zulässigkeit einer solchen Bedingung: VGH BW, Urteil vom 24. Februar 2016 – 11 S 1626/15 –, juris), hinreichend deutlich erkennen. Auch im weiteren Verlauf, unter anderem mit Schreiben des Antragsgegners vom 12. April 2018, wurde die Antragstellerin unmissverständlich darüber informiert, dass das Verfahren zur Rücküberstellung nach Italien weiter betrieben werde. Schließlich war für den 22. Mai 2018 eine Abschiebung geplant, die nur aufgrund des zwischenzeitlichen Untertauchens der Antragstellerin nicht vollzogen wurde.

8 

Die Antragstellerin kann sich auch nicht auf einen auf Art. 2 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 EATRR beruhenden Verantwortungsübergang berufen. Danach gilt die Verantwortung auch zu einem früheren Zeitpunkt als übergegangen, wenn der Zweitstaat dem Flüchtling gestattet hat, dauernd in seinem Hoheitsgebiet zu bleiben. Die hiernach erforderliche Gestattung liegt nicht vor. Dass hiermit entgegen der Ansicht der Antragstellerin trotz (zufälliger) Verwendung desselben Wortes in § 55 Abs. 1 Satz 1 AsylG und in der amtlichen deutschen Übersetzung zu Art. 2 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 EATRR nicht die kraft Gesetzes eintretende Gestattung des vorübergehenden Aufenthalts gemeint sein kann, folgt bereits aus dem weiteren Wortlaut in Art. 2 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 EATRR, wonach sich die dort erforderliche Berechtigung auf einen dauernden Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland beziehen muss.

9 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

10 

Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 und 2 und mit § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG, da die Antragstellerin mit ihrem Eilantrag die Sicherung ihres Anspruchs auf Aufenthaltserlaubnis erreichen möchte. Insoweit sind nach ständiger Rechtsprechung des Senats im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes wegen der weitgehenden Vorwegnahme der Hauptsache ¾ des Regelstreitwerts anzusetzen.

 

II.

11 

1. Die Beschwerde gegen die Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist ebenfalls unbegründet.

12 

Mit der Zurückweisung der Beschwerde gegen die Ablehnung des Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts unanfechtbar. Damit steht fest, dass keine hinreichenden Erfolgsaussichten für das erstinstanzliche Verfahren im Sinne von § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO i.V.m. § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO gegeben waren.

13 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

14 

2. Die beantragte Prozesskostenhilfe für das nicht dem Vertretungszwang unterliegende Beschwerdeverfahren gegen die versagte Prozesskostenhilfe war abzulehnen. Eine nach § 146 Abs. 1 VwGO statthafte Beschwerde gegen die erstinstanzliche Ablehnung von Prozesskostenhilfe ist keine Rechtsverfolgung oder -verteidigung i.S.d. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO (vgl. HessVGH, Beschluss vom 28. Januar 2013 – 7 D 228/13 –, juris; BayVGH, Beschluss vom 9. Februar 2017 – 4 M 16.2335 –, juris, Rn. 9). Der Grundsatz, dass für ein Prozesskostenhilfeverfahren keine Prozesskostenhilfe zu gewähren ist, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Prozesskostenhilfeverfahren will den Rechtsschutz, den der Rechtsstaatsgrundsatz erfordert, nicht selbst bieten, sondern zugänglich machen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 2. Juli 2012 – 2 BvR 2377/10 –, juris, Rn. 12 ff.; BVerfG, Beschluss vom 9. November 2017 – 1 BvR 2440/16 –, juris, Rn. 21).