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Rechtsprechungsarchiv
des Oberverwaltungsgerichts
Rheinland-Pfalz e.V.
Deinhardpassage 1
56068 Koblenz

1 L 625/17.MZ

GerichtVG MainzAktenzeichen1 L 625/17.MZ
EntscheidungsartBeschlussDatum
20.06.2017
veröffentlicht in
rechtskräftigJa
Leitsatz
Zu der Zulässigkeit einer Demonstration auf dem Außengelände einer öffentlichen Einrichtung bei einem "Tag der offenen Tür" (hier: Sommerfest einer psychiatrischen Fachklinik).


Die Entscheidung ist rechtskräftig.
RechtsgebieteVersammlungsrecht
SchlagworteAbwägung, Beachtungserfolg, Demonstration, Eigentum, einstweiliger Rechtsschutz, Fachklinik, Festveranstaltung, Forum, Fraport, Hauptsache, Hauptsacheverfahren, Klinik, Meinungsbildung, öffentliche Meinungsbildung, öffentliches Forum, Öffentlichkeit, Privateigentum, Psychiatrie, psychiatrische Fachklinik, Rechtsschutz, Sofortvollzug, Sommerfest, Tag der offenen Tür, Veranstaltung, Verbot, Versammlung, Versammlungsfreiheit, Versammlungsrecht, Versammlungsverbot, Zutrittsrecht, Zwangsbehandlung
NormenGG Art 8,GG Art 8 Abs 1,GG Art 8 Abs 2,VersG § 15,VersG § 15 Abs 1,VwGO § 80,VwGO § 80 Abs 2,VwGO § 80 Abs 2 Nr 4,VwGO § 80 Abs 3,VwGO § 80 Abs 5
Volltext

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird auf 2.500,00 € festgesetzt.

 

                                                           Gründe

                                                                 I.

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Der Antragsteller begehrt die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gegen das Verbot einer Versammlung. Der Antragsteller hatte am 8. Juni 2017 bei dem Antragsgegner eine öffentliche Versammlung unter freiem Himmel auf dem Gelände der ... Fachklinik A. angemeldet, die am 24. Juni 2017 zu dem Thema „Zwangsbehandlung in der Psychiatrie“ stattfinden soll. Am gleichen Tag findet das jährlich veranstaltete Sommerfest im Park der ... Fachklinik statt. Diese ist nach eigenen Angaben ein Behandlungszentrum für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Neurologie mit 800 Betten und Plätzen in öffentlicher Trägerschaft als Anstalt öffentlichen Rechts. Der Antragsgegner hat mit Bescheid vom 12. Juni 2017 die angemeldete Versammlung untersagt. Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit seinem Eilantrag vom 16. Juni 2017.

 

                                                               II.

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Der zulässige Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO hat im Ergebnis keinen Erfolg.

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1. Die Anordnung des Sofortvollzuges genügt zunächst dem formellen Begründungserfordernis des § 80 Abs. 3 VwGO. Die Warn-, Kontroll- und Rechtsschutzfunktion des Begründungserfordernisses gebieten eine einzelfallbezogene Begründung des überwiegenden öffentlichen Interesses an der sofortigen Vollziehung. Dabei darf sich die Begründung nicht in formelhaften Wendungen, der bloßen Wiederholung der Begründung des Verwaltungsaktes oder des Gesetzes erschöpfen. Andererseits sind an die Begründung der Anordnung jedoch auch keine übermäßigen Anforderungen zu stellen. Dem Erfordernis ist vielmehr genügt, wenn die Behörde erkennen lässt, aufgrund welcher Überlegungen sie die sofortige Vollziehung als notwendig ansieht; ob sich die angeführten Gründe im Rahmen der anzustellenden Interessenabwägung als tragfähig erweisen, betrifft nicht das formale Begründungserfordernis, sondern die Eilrechtsschutzentscheidung in der Sache (OVG RP, Beschluss vom 13. Mai 2014 – 8 B 10342/14 –, DVBl 2014, 1074; OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 02. März 2005 – 2 MB 1/05 –, NVwZ-RR 2007, 187; vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 22. Auflage 2016, § 80 Rn. 84 f.). Diesen Erfordernissen genügt die Begründung des Antragsgegners, zumal ohne sofortige Vollziehung eine Vorwegnahme der Hauptsache zugunsten der Anmelder der Versammlung eintreten würde.

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2. Im Rahmen der Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO ist in materieller Hinsicht das Interesse des Betroffenen an der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs gegen das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung (§ 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) abzuwägen. Bei dieser Abwägung der widerstreitenden Interessen sind regelmäßig auch die Erfolgsaussichten des eingelegten Rechtsbehelfs in einem Verfahren zur Hauptsache in den Blick zu nehmen. Kann bei der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung nicht festgestellt werden, ob der Rechtsbehelf des Betroffenen sich als offensichtlich erfolgversprechend oder offensichtlich aussichtslos erweist, bedarf es einer Abwägung der widerstreitenden Interessen (vgl. nur Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 6. Aufl. 2011, Rn. 958 f.; stRsp., vgl. OVG RP, Beschluss vom 3. Mai 1977, AS 14, S. 429, 436 ; VGH BW, Beschluss vom 05. Februar 1980 – 3 S 43/80 –, juris ; BayVGH, Beschluss vom 16. April 2015 – 10 CS 15.842 –, juris).

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3. Nach Maßgabe dieser Grundsätze wird sich das Versammlungsverbot nach der im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens vorzunehmenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage in einem Hauptsacheverfahren (hier nur möglich als Fortsetzungsfeststellungsklage) auf der Grundlage von § 15 Abs. 1 VersG voraussichtlich als rechtmäßig erweisen.

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a. Das Begehren des Antragstellers ist ohne weiteres ein grundsätzlich rechtlich zulässiges Anliegen, welches dem Schutz des Versammlungsrechts unterfällt und in dessen Rahmen zur Geltung gebracht werden kann. Eine Versammlung im Sinne von Art. 8 Abs. 1 und 2 GG ist eine örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung und umfasst auch provokative Äußerungen (vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1985 – 1 BvR 233/81 –, BVerfGE 69, 315 [342 f.]). Der Schutz ist nicht auf Veranstaltungen beschränkt, auf denen argumentiert und gestritten wird, sondern umfasst vielfältige Formen gemeinsamen Verhaltens bis hin zu nicht verbalen Ausdrucksformen (vgl. BVerfG, Urteil vom 11. November 1986 – 1 BvR 713/83 –, BVerfGE 73, 206 [248]; Beschluss vom 24. Oktober 2001 – 1 BvR 1190/90 –, BVerfGE 104, 92 [103 f.]). Bei einer Versammlung geht es darum, dass die Teilnehmer nach außen – schon durch die bloße Anwesenheit, die Art des Auftretens und des Umgangs miteinander oder die Wahl des Ortes – im eigentlichen Sinne des Wortes Stellung nehmen und ihren Standpunkt bezeugen (vgl. BVerfGE 69, 315 [345]).

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b. Die Grundrechte binden gemäß Art 1 Abs. 3 GG die staatliche Gewalt umfassend, wobei der Begriff der staatlichen Gewalt weit zu verstehen ist. Grundrechtsgebunden in diesem Sinne ist demnach jedes Handeln staatlicher Organe oder Organisationen. Diese Bindung steht zudem nicht unter einem Nützlichkeits- oder Funktionsvorbehalt: sobald der Staat eine Aufgabe an sich zieht, ist er bei deren Wahrnehmung auch an die Grundrechte gebunden. Der Schutz des Art. 8 GG besteht zudem unabhängig davon, ob eine Versammlung anmeldepflichtig und dementsprechend angemeldet ist (vgl. BVerfGE 69, 315 [351]). Er endet mit der rechtmäßigen Auflösung der Versammlung (vgl. BVerfGE 73, 206 [250]).

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c. Die Versammlungsfreiheit verschafft allerdings kein Zutrittsrecht zu beliebigen Orten. Insbesondere gewährt sie keinen Zutritt zu Orten, die der Öffentlichkeit nicht allgemein zugänglich sind oder zu denen schon den äußeren Umständen nach nur zu bestimmten Zwecken Zugang gewährt wird (vgl. BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 22. Februar 2011 - 1 BvR 699/06 -, BVerfGE 128, 226 [251]). Die Durchführung von Versammlungen in Verwaltungsgebäuden oder in eingefriedeten, der Allgemeinheit nicht geöffneten Anlagen ist durch Art. 8 Abs. 1 GG ebenso wenig geschützt wie etwa in einem öffentlichen Schwimmbad oder einem Krankenhaus. Die Versammlungsfreiheit verbürgt die Durchführungen von Versammlungen jedoch dort, wo ein kommunikativer Verkehr eröffnet ist; ausschlaggebend ist die tatsächliche Bereitstellung des Ortes und ob nach diesen Umständen ein allgemeines öffentliches Forum eröffnet ist (BVerfGE 128, 226 [251 ff.]). Das Bundesverfassungsgericht hat hierzu in der vorgenannten und auch von dem Antragsteller zitierten Entscheidung ausgeführt (Rn. 72):

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„Das Begehren der Beschwerdeführerin, im Frankfurter Flughafen Versammlungen durchzuführen, fällt nicht schon aus dem Schutzbereich der Versammlungsfreiheit heraus. Der Frankfurter Flughafen ist in wesentlichen Bereichen als Ort allgemeinen kommunikativen Verkehrs ausgestaltet. Zwar gilt dies nicht für den gesamten Flughafen (...). Jedoch umfasst der Flughafen auch große Bereiche, die als Orte des Flanierens und des Gesprächs, als Wege zum Einkaufen und zu Gastronomiebetrieben ausgestaltet sind und hierfür einen allgemeinen Verkehr eröffnen. (...) Hier sind ersichtlich Orte als allgemein zugängliche öffentliche Foren ausgestaltet, deren Verkehrsflächen Versammlungen damit grundsätzlich offenstehen.“

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d. Zur Überzeugung der Kammer wurde ein solches allgemeines öffentliches Forum jedoch gerade nicht durch die Ansetzung eines Sommerfestes mit einem Tag der offenen Tür geschaffen. Der Tag der offenen Tür ist ersichtlich – anders als in den beschriebenen Fraport-Bereichen – als Ausnahme vom Regelbetrieb konzipiert, der an einem einzigen Tag im Jahr der Öffentlichkeitsarbeit und dem geselligen Beisammensein von Personal der Klinik und Bürgern gewidmet ist. Diese Veranstaltung begründet damit kein Recht, dort zugleich andere Versammlungen durchzuführen, auch wenn die Veranstalter sich gerade kritisch mit den Behandlungsmethoden in der genannten Klinik befassen möchten, was durch das angemeldete Thema („Zwangsbehandlung in der Psychiatrie“) hinreichend verdeutlicht wurde. Würde man jedoch das „Sommerfest im Park“ (siehe Programm und Details unter http://www....) als Eröffnung eines öffentlichen Forums anerkennen, so würde hieraus ein allgemeines Versammlungsrecht auf privatem Grund in all denen Fällen entstehen, wo (auch) öffentlich zugängliche Festveranstaltungen des Eigentümers zuvor durchgeführt wurden oder zeitgleich durchgeführt werden. Dies könnte Publikumsfeste und Tage der offenen Tür in bestimmten öffentlichen Einrichtungen praktisch unmöglich machen, zumindest aber erheblich erschweren. Das Begehren des Antragstellers ist daher zur Überzeugung der Kammer durch den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 und 2 GG nicht abgedeckt. Zumindest fällt die Abwägung der widerstreitenden Interessen nach Maßgabe von § 80 Abs. 5 VwGO insoweit zulasten des Antragstellers aus, zumal eine erhebliche Beeinträchtigung der Veranstaltung nicht auszuschließen ist.

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e. Gegen dieses Ergebnis können auch nicht mit Erfolg die Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts vom 18. und 20 Juli 2015 – 1 BvQ 25/15 – herangezogen werden. Denn die Beeinträchtigung wurde dort nur für eine kurze Dauer von etwa 15 Minuten als gerechtfertigt angesehen, ohne dass hierdurch die Maßstäbe der Senatsrechtsprechung (vgl. nur BVerfGE 128, 226) berührt worden wären. Insbesondere war aber auch dieser Bereich (Passauer Nibelungenplatz) im Zusammenhang mit einem Einkaufszentrum öffentlich zugänglich gemacht worden, auch wenn er im Privateigentum eines Investors stand. Eine dem hier vorliegenden Fall vergleichbare Konstellation liegt daher nicht vor. Damit bleibt es dabei, dass das Versammlungsrecht nur auf öffentlichen Grund gewährleistet wird, soweit dieser in geeigneter Form dem Gemeingebrauch gewidmet ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. Oktober 2001, - 1 BvR 1190/90 -, BVerfGE 104, 92, Rn. 44 ff.; s.a. LG Köln, Urteil vom 16. August 2013 – 24 O 392/12 –, juris Rn 27; Schneider, in BeckOK Grundgesetz, Epping/Hillgruber, Stand: 1. März 2017, Art. 8 GG, Rn. 13 f.).

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f. Daraus folgt zugleich, dass eine Veranstaltung vor dem Eingangsbereich den genannten Einschränkungen nicht grundsätzlich unterliegen dürfte, was aber nicht Gegenstand dieser Entscheidung ist. Entsprechend dem Bescheid des Antragsgegners vom 12. Juni 2017 (S. 2) habe der Antragsteller aber die Zuweisung eines entsprechenden Bereichs nicht annehmen wollen. Dementsprechend geht die Kammer davon aus, dass sich das Verbot der Versammlung nicht auf diesen Bereich bezieht („... auf dem Gelände der ... wird unsererseits hiermit verboten“). Bei der Gewährleistung eines solchen „Außenbereichs“ hat die Antragsgegnerin zu beachten, dass das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit dabei im Grundsatz auch – unter Beachtung der zuvor genannten Bedingungen – ein Selbstbestimmungsrecht über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Veranstaltung gewährleistet (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1985 – 1 BvR 233/81 –, BVerfGE 69, 315 [343]).

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g. Dabei wird der Antragsgegner auch zu bedenken haben, dass eine Hör- und Sichtweite für Demonstrationen nicht nur für Großveranstaltungen zu gewährleisten ist, sondern auch für kleinere Versammlungen, die auf Initiative einiger Bürger zustanden kommen. Das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit schützt auch das Interesse des Veranstalters, auf einen Beachtungserfolg nach seinen Vorstellungen zu zielen, also gerade auch durch eine möglichst große Nähe zu einem symbolhaltigen Ort (BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1985, 1 BvR 233/81, BVerfGE 69, 315 [323, 365]; BVerfG, Beschluss vom 6. Juni 2007 – 1 BvR 1423/07 –, juris Rn. 23). Damit dürfte – was wohl seitens des Antragsgegners nach wie vor auch nicht beabsichtigt ist – ein Verbot der Versammlung im Bereich des „Pförtnerhäuschens“ nicht zulässig sein, soweit der Verkehrsfluss nicht erheblich beeinträchtigt wird. Der Antragsgegner hat demnach im Rahmen der genannten Grundsätze auf eine kooperative Festlegung von Veranstaltungsplan und Ordnungsvorkehrungen hinzuwirken, um damit einen störungsfreien Verlauf der Versammlung zu gewährleisten, sofern der Antragsteller unter den gegebenen Bedingungen an der angemeldeten Versammlung festhalten möchte.

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Der Antrag ist daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.

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Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG i.V.m Ziffern 1.5 und 45.4. des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (siehe Kopp/Schenke, VwGO, 22. Auflage 2016, Anhang zu § 164, Rn. 14).