Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens trägt der
Antragsteller.
Der Wert des Streitgegenstandes wird
auf 5.000,00 € festgesetzt.
Gründe
Der Antrag des Antragstellers, die
aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs vom 27. November 2018 gegen den für
sofort vollziehbar erklärten Bescheid vom 27. November 2018 wiederherzustellen,
soweit darin in der Nr. 1 der Auflagen für die am Samstag, dem 1. Dezember
2018, geplante Versammlung unter dem Motto „Migrationspolitik, Innere
Sicherheit“ als Wegverlauf die Strecke vom Parkplatz am Bahnhofsvorplatz über
Bahnhofstraße, Rheinstraße, Raiffeisenstraße, Holbeinstraße über Bahnhofstraße
zurück zum Parkplatz am Bahnhofsvorplatz mit Zwischenkundgebungen an der Ecke
Bahnhofstraße/Rheinstraße und Ecke Raiffeisenstraße/Holbeinstraße festgelegt
wurde, ist gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 2. Alt. Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO –
statthaft und auch ansonsten zulässig. In der Sache hat der Antrag jedoch
keinen Erfolg.
Die Anordnung der sofortigen
Vollziehung der Nr. 1 der Auflagen des Bescheids vom 27. November 2018 ist
sowohl formell (dazu 1.) als auch materiell offensichtlich rechtmäßig (dazu
2.). Ferner besteht auch ein besonderes Vollzugsinteresse (dazu 3.).
1. An
der formellen Rechtmäßigkeit der Anordnung der sofortigen Vollziehung der Nr. 1
des Bescheids vom 27. November 2018 bestehen keine rechtlichen Bedenken.
Insbesondere
hat der Antragsgegner in formeller Hinsicht die Anordnung der sofortigen
Vollziehung des Auflagenbescheids vom 27. November 2018 ausreichend nach § 80
Abs. 3 Satz 1 VwGO begründet. Hierzu hat der Antragsgegner ausgeführt, die
Anordnung sei im öffentlichen Interesse geboten. Sinn und Zweck dieser
beschränkenden Verfügungen sei es, Gefahren für die öffentliche Sicherheit zu
vermeiden. Diese könne hier nur durch eine rechtliche Verpflichtung der
sofortigen Beachtung der Auflägen erreicht werden. Würde die Versammlung den
durch die Auflagen gesetzten Rahmen überschreiten, entstünde eine Gefahr für
die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Zudem würde die Nichtbeachtung der
Auflagen dazu führen, dass die von der Versammlung betroffenen unbeteiligten
Dritten zugunsten der Rechte des Veranstalters in ihren Rechten in
unverhältnismäßiger Weise beeinträchtigt wären. Diese Beeinträchtigung wäre
durch das Recht der freien Meinungsäußerung und der Versammlungsfreiheit nicht
mehr gedeckt. Es wäre zu befürchten, dass gerade die Gefahren eintreten, die
durch Erteilung der Auflagen verhindert werden sollen. Damit liegt eine auf den
konkreten Einzelfall abgestellte, substantiierte und nicht lediglich
formelhafte Begründung des besonderen Vollzugsinteresses vor. Ob die von dem
Antragsgegner angeführte Begründung inhaltlich zutreffend ist und die Anordnung
der sofortigen Vollziehung zu rechtfertigen vermag, ist im Rahmen des § 80 Abs.
3 Satz 1 VwGO unbeachtlich; dies ist erst bei der gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO
vom Gericht eigenständig vorzunehmenden Interessenbewertung zu erörtern (s.
z.B. OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 10. Juli 2018 – 7 B 10698/18.OVG –).
2. Die Anordnung der sofortigen
Vollziehung der Nr. 1 der Auflagen des Bescheids vom 27. November 2018 ist auch
in materieller Hinsicht nicht zu beanstanden.
Für
das Interesse des Betroffenen, einstweilen nicht dem Vollzug der behördlichen
Maßnahmen ausgesetzt zu sein, sind zunächst die Erfolgsaussichten des in der
Hauptsache eingelegten Rechtsbehelfs von Belang. Ein überwiegendes Interesse
eines Antragstellers an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ist in
der Regel anzunehmen, wenn die im Eilverfahren allein mögliche und gebotene
summarische Überprüfung ergibt, dass der angefochtene Verwaltungsakt
offensichtlich rechtswidrig ist. Denn an der Vollziehung eines ersichtlich
rechtswidrigen Verwaltungsakts kann kein öffentliches Vollzugsinteresse
bestehen. Ist der Verwaltungsakt dagegen offensichtlich rechtmäßig, so
überwiegt das Vollzugsinteresse das Aussetzungsinteresse des Antragstellers nur
dann, wenn zusätzlich ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen
Vollziehung des Verwaltungsakts besteht. Kann aufgrund der im Eilverfahren nur
möglichen summarischen Überprüfung nicht festgestellt werden, ob der
Verwaltungsakt offensichtlich rechtmäßig oder offensichtlich rechtswidrig ist,
so beschränkt sich die verwaltungsgerichtliche Kontrolle des Sofortvollzuges
des Verwaltungsakts auf die Durchführung einer Interessenabwägung, die je nach
Fallkonstellation zugunsten des Antragstellers oder des Antragsgegners ausgehen
kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. Mai 2007 – 2 BvR 695/07 –, NVwZ
2007, 1176). Allerdings müssen die
Verwaltungsgerichte wegen der Bedeutung des Art. 8 Abs. 1 Grundgesetz – GG – bei Versammlungen, die auf einen einmaligen Anlass bezogen sind, schon
im Eilverfahren durch eine intensivere Prüfung dem Umstand Rechnung tragen,
dass der Sofortvollzug der umstrittenen Maßnahme in der Regel zur endgültigen
Verhinderung der Versammlungen in der beabsichtigten Form führt (vgl. BVerfG,
Beschluss vom 24. März 2001 – 1
BvQ 13/01 –, NJW 2001, 2069).
Nach diesen Grundsätzen ist vorliegend dem
öffentlichen Interesse des Antragsgegners an der sofortigen Vollziehung der
streitgegenständlichen Auflage gegenüber dem privaten Interesse des
Antragstellers an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines
Widerspruchs gegen die für sofort vollziehbar erklärte Nummer 1 der Auflagen
des Bescheids vom 27. November 2018 der Vorrang einzuräumen. Denn es
spricht Überwiegendes
dafür, dass der genannte Bescheid betreffend die allein angefochtene Auflage in
Nr. 1 –
Verlegung der von dem Antragsteller angemeldeten Wegstrecke am 1. Dezember 2018
–
rechtmäßig ist.
Rechtsgrundlage für die vom Antragsgegner gegenüber
dem Antragsteller angeordnete Wegstreckenauflage für den 1. Dezember 2018 in
Kandel ist die Vorschrift des § 15 Abs. 1 Versammlungsgesetz – VersG –.
Danach kann
die zuständige Behörde – hier der Antragsgegner – eine Versammlung
oder einen Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn
nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die
öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des
Aufzuges unmittelbar gefährdet ist.
2.1. Verfahrensrechtliche Bedenken gegen die Nr. 1 des Bescheids
vom 27. November 2018 bestehen nicht.
2.1.1. Insbesondere ist der Antragsgegner nach Ansicht der Kammer
dem Anhörungserfordernis nach § 1 Landesverwaltungsverfahrensgesetz – LVwVfG –
i.V.m. § 28 Abs. 1 Verwaltungsverfahrensgesetz – VwVfG – ausreichend
nachgekommen.
Eine Anhörung war im vorliegenden Fall nicht gemäß § 1 LVwVfG
i.V.m. § 28 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG entbehrlich, da keine Gefahr im Verzug vorlag.
Grundsätzlich wird dem Anhörungserfordernis des § 1 LVwVfG i.V.m. §
28 Abs. 1 VwVfG mit der Durchführung eines Kooperationsgesprächs entsprochen
(vgl. Thüringer OVG, Beschluss vom 9. August 1996 – 2 EO 669/96 –, NVwZ-RR
1997, 287). Vorliegend kann jedoch in dem Abhalten des Kooperationsgesprächs am
19. November 2018 keine ordnungsgemäße Anhörung gesehen werden, denn in diesem
Gespräch wurde die Aufzugsstrecke abweichend von der späteren Auflage Nr. 1
vereinbart, so dass der Antragsteller gerade keine Gelegenheit hatte, sich zu
der abweichenden Streckenführung zu äußern. Jedoch wies der Antragsgegner den
Antragsteller mit Mail vom 22. November 2018 (s. Blatt 25 der Gerichtsakte)
darauf hin, dass die Verbandsgemeinde Kandel inzwischen mitgeteilt habe, dass
die Ladengeschäfte in der Hauptstraße wegen des Christkindelmarktes bis 18 Uhr
geöffnet seien und hinsichtlich der besprochenen Aufzugsstrecke für den
Teilabschnitt Hauptstraße kollidierende Interessen vorlägen. Die Problematik
solle im Rahmen eines weiteren Kooperationsgesprächs mit dem Ziel erörtert
werden, eine für alle Betroffenen tragbare und den jeweiligen Interessen
gerecht werdende Lösung zu finden. Als möglichen Termin bot der Antragsgegner
den 26. November 2018 an. Hierauf antwortete der Antragsteller mit Mail vom
gleichen Tage (s. Blatt 26 der Gerichtsakte), er sehe für die Geschäfte in der
Hauptstraße keinerlei Beeinträchtigung. Ferner könne er auch zeitlich an keinem
weiteren Kooperationsgespräch teilnehmen.
Bei dieser Sachlage sieht die Kammer keinen Verstoß gegen das
Anhörungserfordernis. Eine Anhörung ist formfrei möglich und dem Anzuhörenden
kann eine unter Umständen sehr kurze Äußerungsfrist gesetzt werden. Die Behörde
muss den beabsichtigten Verwaltungsakt – hier die Wegstreckenauflage – nach Art
und Inhalt mit der geforderten Handlung, Duldung oder Unterlassung so konkret
umschreiben, dass für den Beteiligten hinreichend klar oder erkennbar ist,
weshalb und wozu er sich äußern können soll und mit welcher eingreifenden
Entscheidung er zu welchem ungefähren Zeitpunkt zu rechnen hat
(Kallerhoff/Mayen, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 9.
Auflage 2018, § 28 Rn. 35). Dies war hier (noch) der Fall. Dem Antragsteller
musste nach Erhalt der Mail vom 22. November 2018 bewusst sein, dass die beim
Kooperationsgespräch am 19. November 2018 festgelegte Streckenführung in Bezug
auf die Hauptstraße wegen des Weihnachtsmarktes nicht länger Bestand haben
sollte. Es stand ihm frei, den neu angebotenen Termin für ein weiteres
Kooperationsgespräch kurzfristig wahrzunehmen oder anderweitig darauf zu
reagieren. Hiervon machte er Gebrauch, indem er sich dahingehend äußerte, er
sehe für die benannten Geschäfte in der Hauptstraße keinerlei Beeinträchtigung.
Damit kam er vor der Entscheidung, die seine Rechte betraf, zu Wort, um Einfluss
auf das Verfahren und dessen Ergebnis nehmen zu können (vgl. Kallerhoff/Mayen,
in: Stelkens/Bonk/Sachs, a.a.O., § 28 Rn. 37). Der Antragsgegner hat sich mit
den Einwänden des Antragstellers inhaltlich auch in der Begründung des
Bescheids vom 27. November 2018 auseinandergesetzt.
2.1.2. Entgegen der Auffassung des Antragstellers liegt auch kein
Verstoß gegen das Begründungserfordernis des § 1 LVwVfG i.V.m. § 39 Abs. 1
VwVfG vor. Danach ist ein schriftlicher oder elektronischer sowie ein
schriftlich oder elektronisch bestätigter Verwaltungsakt mit einer Begründung
zu versehen. In der Begründung sind die wesentlichen tatsächlichen und
rechtlichen Gründe mitzuteilen, die die Behörde zu ihrer Entscheidung bewogen
haben. Die Begründung von Ermessensentscheidungen soll auch die Gesichtspunkte
erkennen lassen, von denen die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens
ausgegangen ist.
Der Antragsteller moniert, der Antragsgegner habe die Einschränkung
der Zugstrecke nicht ausreichend begründet, da er keine Fakten angeführt habe,
sondern den Begründungszwang mit nicht nachprüfbaren Behauptungen umgehe. Damit
kann der Antragsteller jedoch nicht durchdringen.
Für die Beachtung des § 39 Abs. 1 VwVfG kommt es nicht darauf an,
ob die gegebene Begründung inhaltlich zutreffend oder unzutreffend ist. Die
Frage nach der sachlichen Richtigkeit der für die Behörde maßgebenden Gründe
für den Erlass des Verwaltungsakts ist von der Begründungspflicht i.S.d. § 39
Abs. 1 streng zu unterscheiden, denn die sachliche Richtigkeit der gegebenen
Begründung betrifft nicht die Form- bzw. die Verfahrensfehlerhaftigkeit des
Verwaltungsakts, sondern – allenfalls – seine materielle Rechtmäßigkeit
(Ruffert, in: Knack/Henneke, Verwaltungsverfahrensgesetz, 10. Auflage 2014, §
39 Rn. 22). Ausgehend hiervon liegt ein Verstoß gegen § 39 Abs. 1 VwVfG, der
zur Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts aus formellen Gründen führt, nur vor,
wenn eine Begründung des streitgegenständlichen Verwaltungsakts gänzlich fehlt
oder mangelhaft, weil i. S. v. § 39 Abs. 1 Satz 2 u. 3 VwVfG unzureichend oder
unvollständig, ist. Davon kann vorliegend keine Rede sein, denn der
Antragsgegner hat die Auflage Nr. 1 in dem Bescheid vom 27. November 2018
ausführlich begründet. Ob diese Begründung nur nicht nachprüfbaren Behauptungen
enthält, wie der Antragsteller meint, und die Streckenverlegung daher nicht
rechtfertigt, ist keine Frage der formellen Rechtmäßigkeit der Auflage.
2.2. In materieller Hinsicht spricht Überwiegendes dafür,
dass die hier allein angefochtene und auf § 15 VersG gestützte Auflage in Nr. 1
des Bescheids vom 27. November 2018 rechtmäßig ist.
2.2.1.
Das Recht des Bürgers, durch Ausübung der
Versammlungsfreiheit aktiv am politischen Meinungsbildungsprozess und
Willensbildungsprozess teilzunehmen, gehört zu den unentbehrlichen
Funktionselementen eines demokratischen Gemeinwesens (OVG Rheinland-Pfalz,
Beschluss vom 21. April 2018 – 7 B 10441/18.OVG –). Angesichts der
Bedeutung von Art. 8 Abs. 1 GG sind Verbote i.S.d. § 15 Abs. 1 VersG daher nur
zum Schutz wichtiger Gemeinschaftsgüter unter Wahrung des Grundsatzes der
Verhältnismäßigkeit und nur bei einer unmittelbaren Gefährdung dieser
Rechtsgüter zulässig. Das Ermessen der Versammlungsbehörde ist daher grundrechtlich
gebunden. Die Versammlungsfreiheit hat nur dann zurückzutreten, wenn eine
Abwägung unter Berücksichtigung der Bedeutung des Freiheitsrechts ergibt, dass
dies zum Schutz anderer, mindestens gleichwertiger Rechtsgüter notwendig ist.
Dabei umfasst der Begriff der öffentlichen Sicherheit den Schutz zentraler
Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des
Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen
Einrichtungen (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 16. September 2011 – 7 B 11118/11.OVG –
m.w.N.). Von einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder
Ordnung ist dann auszugehen, wenn der drohende Schadenseintritt so nahe ist,
dass er jederzeit, unter Umständen sofort, eintreten kann (vgl. OVG Hamburg,
Beschluss vom 3. Juli 2017 – 4 Bs 142/17 –, juris; Wache, in: Erbs/Kohlhaas,
Strafrechtliche Nebengesetze, Stand Juli 2018, § 15 VersG Rn. 5 und 7). Unter
Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit darf die Behörde beim
Erlass von einschränkenden Verfügungen keine zu geringen Anforderungen an die
Gefahrenprognose stellen. Erforderlich sind daher zum Zeitpunkt des Erlasses
der Verfügung erkennbare konkrete und nachvollziehbare tatsächliche
Anhaltspunkte, aus denen sich die unmittelbare Gefährdung der öffentlichen
Sicherheit oder Ordnung ergibt; bloße Vermutungen reichen nicht aus (OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 21. September 2018 – 15 B
1405/18 –, juris m.w.N.).
Beschränkungen der Versammlungsfreiheit unterhalb
der Schwelle eines Versammlungsverbots zur Abwehr von Gefahren für die
öffentliche Sicherheit und auch für die öffentliche Ordnung sind
verfassungsrechtlich unbedenklich, vorausgesetzt, dass diese nicht aus dem
Inhalt der Äußerungen, sondern aus der Art und Weise der Durchführung der
Versammlung folgen. Zur Art und Weise der Durchführung einer Versammlung können
unter anderem die Wahl von Zeit und Ort zählen (s. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil
vom 6. Dezember 2012 – 7 A 10821/12.OVG –, esovg, mit Nachweisen aus der Rechtsprechung
des BVerfG). Geht es – wie vorliegend – um die versammlungsbehördliche
Verlegung der Versammlung von dem angemeldeten an einen anderen Ort, so ist zu
berücksichtigen, dass von dem Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters nach
Art. 8 Abs. 1 GG prinzipiell auch die Auswahl des Orts und die Bestimmung der
sonstigen Modalitäten der Versammlung umfasst ist. Die Wahl von Ort und Streckenverlauf einer
Versammlung bzw. eines Aufzuges stellen nämlich genauso einen Teil der
Grundrechtsausübung dar wie die Wahl des Versammlungsthemas (vgl.
Peters, LKV 2016, 193, 196 m.w.N.). Die Bürger sollen damit selbst
entscheiden können, wo sie ihr Anliegen – auch mit Blick auf Bezüge zu bestimmten
Orten oder Einrichtungen – am Wirksamsten zur Geltung bringen können (vgl.
BVerfG, Beschluss vom 18. Juli 2015 – 1 BvQ 25/15 –, juris; OVG
Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 29. Dezember 2016 – 15 B 1500/16 –, juris).
Bekommt der Veranstalter einer Versammlung von der Versammlungsbehörde eine
Versammlung verordnet, die er weder gewollt noch angemeldet hat, so wird die
Gestaltungsfreiheit des Veranstalters im Kern getroffen. Kann der Veranstalter
seine Versammlung nicht wiedererkennen, sind Auflagen unverhältnismäßig.
Insoweit sind Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Versammlung eben keine
beliebigen Größen. Insbesondere die Wahl von Zeitpunkt und Ort der Versammlung
geht oft mit ihrer zentralen Aussage eine untrennbare Wirkungseinheit
dergestalt ein, dass z.B. die Verlegung des Ortes der Versammlung ihren Zweck
nimmt und deshalb die Auflage zum Verbot wird (Kniesel/Poscher, in:
Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 6. Auflage 2018, Rn. K 371).
Hiervon
ausgehend dürften die Voraussetzungen für den Erlass der angefochtenen Auflage
gegeben sein.
2.2.2.
Die von dem Antragsgegner angeordnete Wegstreckenauflage kommt zunächst keinem
Versammlungsverbot gleich.
Der
Antragsteller hatte am 4. März 2018 u.a. eine Demonstration für den 1. Dezember
2018 angemeldet und per Mail vom 7. November 2018 den gewünschten
Wegstreckenverlauf wie folgt angegeben: Auftakt und Ende auf dem
Bahnhofsvorplatz in Kandel, dazwischen Fußmarsch über die Bismarckstraße,
Hauptstraße, Raiffeisenstraße, Bahnhofstraße und Georg-Todt-Straße mit
Zwischenkundgebungen. Diese Strecke ist knapp 1.800 m lang (s. die Skizze auf
Blatt 104 der Gerichtsakte). Im Kooperationsgespräch vom 19. November 2018
wurde genau diese Strecke vereinbart und ergänzend die Orte für die
Zwischenkundgebungen auf die Ecke Bismarckstraße/Hauptstraße und die Ecke
Raiffeisenstraße/Holbeinstraße festgelegt. Demgegenüber verläuft nunmehr die
abweichende von dem Antragsgegner in der Auflage angeordnete Strecke vom
Parkplatz am Bahnhofsvorplatz über die Bahnhofstraße, Rheinstraße,
Raiffeisenstraße, Holbeinstraße und Bahnhofstraße zurück zum Parkplatz am
Bahnhofsvorplatz mit Zwischenkundgebungen an der Ecke Bahnhofstraße/Rheinstraße
und der Ecke Raiffeisenstraße/Holbeinstraße. Diese Strecke ist etwas mehr als
1.400 m lang (s. die Skizze auf Blatt 105 der Gerichtsakte) und damit zwar um
etwa 20 % kürzer als die vom Antragsteller geplante Strecke. Jedoch hindert die
hier allein angegriffene Auflage den Antragsteller nicht, die geplante
Versammlung unter dem vorgesehenen Motto im Zentrum Kandels zur selben Zeit
durchzuführen und zwar als Aufzug mit Beginn und Abschlusskundgebung am
ursprünglich geplanten Bahnhofsvorplatz. Erfasst sind lediglich Modalitäten der
Versammlungsdurchführung in örtlicher Hinsicht. Diese sind nicht so wesentlich,
dass die Auflage faktisch einem Verbot gleichkommt (vgl. BVerfG, Beschluss vom
6. Mai 2005 – 1 BvR 961/05 –, DVBl 2005, 969; Bay. VGH, Beschluss vom 8.
November 2005 – 24 CS 05.2916 –, BayVBl 2006, 185).
2.2.3.
Die vom Antragsgegner zur Begründung seiner versammlungsbeschränkenden Verfügung
angegebenen Umstände sind nach summarischer Prüfung geeignet, die Annahme der
erforderlichen unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder
Ordnung zu begründen.
2.2.3.1. Anlass für die Wegstreckenauflage des
Antragsgegners ist der Umstand, dass am 1. Dezember 2018 der Kandeler
Weihnachtsmarkt eröffnet wird, der an den vier Adventswochenenden samstags von
14.00 - 21.00 Uhr und sonntags von 12.00 - 21.00 Uhr auf dem Plätzel, rund um
die St. Georgskirche sowie auf dem angrenzenden Marktplatz stattfindet (s.
https://www.vg-kandel.de/vg_kandel/Tourismus%20&%20Freizeit/M%C3%A4rkte%20&%20Events/M%C3%A4rkte%20
Kandel/Christkindelmarkt/, abgerufen am 29.
November 2018). Der Antragsgegner hat die Verlegung der Aufzugsstrecke unter
Verweis auf den Weihnachtsmarkt damit begründet, im Rahmen der praktischen
Konkordanz sei den ebenso geschützten Grundrechten der Besucher des
Weihnachtsmarktes und der Gewerbetreibenden in der Hauptstraße – diese halten
ihre Geschäfte am 1. Dezember 2018 und den weiteren Samstagen in der
Adventszeit bis um 18 Uhr offen – aus Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 12 GG und Art. 14
GG gegenüber dem Recht des Antragstellers aus Art. 8 GG auf Selbstbestimmung
des Versammlungsortes bzw. der Aufzugsstrecke in der Weihnachtszeit Vorrang
einzuräumen. Während der Weihnachtsmarktwochenenden bestehe insofern eine
erhöhte Schutzwürdigkeit der benannten Rechtsgüter, da – zusätzlich zum
täglichen innerstädtischen Leben – der Kandeler Christkindelmarkt mit 56
Ständen auf dem Marktplatz sowie „Am Plätzel“ und damit zentral in der
Innenstadt von Kandel stattfinde. Nach Schätzung des Vereins Handel und Gewerbe
in Kandel müsse davon ausgegangen werden, dass während der Hauptgeschäftszeiten
von 10.00 Uhr bis 18.00 Uhr im Zusammenhang mit dem Christkindelmarktbesuch im
Durchschnitt 650 Besucher im Rhythmus von 2 Stunden den Markt bzw. die
Hauptstraße besuchten. Die Weihnachtsmarktbesucher nähmen den verkaufsoffenen
Samstag vor allem auch auf Grund der räumlichen Nähe der Hauptstraße zum
Weihnachtsmarkt auf dem Marktplatz als eine Einheit wahr. Angesichts des für
die 9000-Einwohner-Stadt Kandel hohen Besucheraufkommens sei auch auf die
Bedeutung von ungehinderten Zu- und Ausgängen zur Innenstadt nach allen Seiten,
insbesondere an einem so stark frequentierten Zugangspunkt durch den hohen
Ziel- und Quellverkehr auf der Hauptstraße hinzuweisen. Die Tatsache, dass der
Aufzug lediglich innerhalb eines kleinen, überschaubaren Zeitfensters
stattfinde, ändere daran nichts. Denn der Aufzug sei in Verbindung mit den sonstigen
Einschränkungen in Gestalt von Absperrungen, Halte- und Parkverboten geeignet,
den Durchschnittsweihnachtsmarktbesucher und Kunden dazu zu bewegen, die Stadt
Kandel zu meiden. Schließlich hat der Antragsgegner den Umstand gewürdigt, dass
seit dem 2. Januar 2018 bereits 16 von dem Antragsteller angemeldete
Versammlungen größtenteils im unmittelbaren Innenstadtbereich um den Marktplatz
und die Marktstraße unter zumindest teilweiser Nutzung der Hauptstraße
stattgefunden hätten.
Ergänzend hat der Antragsgegner in seiner
Antragserwiderungsschrift vom 29. November 2018 unter Bezugnahme auf Angaben
der Verbandsgemeinde Kandel vom 28. November 2018 und unter Vorlage des
Handlungsplans (s. Blatt 103 der Gerichtsakte) noch ausgeführt, dass die vom
Antragsteller vorgesehene Wegstreckenführung durch die Hauptstraße nicht mit
dem im Jahre 2016 eingeführten Sicherheitskonzept der Stadt Kandel für den
Weihnachtsmarkt vereinbar sei. In der diesbezüglichen Mail der Verbandsgemeinde
Kandel vom 28. November 2018 heißt es, in dem Sicherheitskonzept sei der
Weihnachtsmarkt in drei Zonen aufgeteilt worden, in denen Rettungsgassen
festgelegt worden seien. Die Landauer Straße und die Hauptstraße seien der
Anfahrtsweg für die Feuerwehren und die Katastrophenschutzeinheiten. Die
Innenstadt werde im Einsatzfall für den Verkehr gesperrt, damit die Hauptstraße
als Aktions- und Bewegungsfläche der Rettungskräfte und für den Abtransport der
Verletzten uneingeschränkt zur Verfügung stehe. Die Rettungskräfte
transportierten unverzüglich die Verletzten über die Hauptstraße ab, da dies
der schnellste Weg in Richtung der Kliniken in Germersheim und in Karlsruhe
sei. Dieses Sicherheitskonzept liege allen beteiligten Hilfsorganisationen vor
und werde im Alarmfall abgerufen. Aus Sicht der Feuerwehr und des
Katastrophenschutzes sei es unbedingt notwendig, die Hauptstraße als
Hauptrettungsweg freizuhalten, damit eine gezielte und sofortige Hilfe
geleistet werden könne.
2.2.3.2. Die von dem Antragsgegner angegebenen
Gründe dürften nach summarischer Prüfung in der Sache die Verlegung der
Wegstrecke rechtfertigen.
Zunächst geht die Kammer davon aus, dass die in der
Antragserwiderungsschrift vom 29. November 2018 ausführlich dargelegten
Sicherheitsbedenken vorliegend Berücksichtigung finden können. Zwar lässt der Wortlaut
des § 15 Abs. 1 Satz 1 VersG mit Rücksicht auf die verfassungsrechtliche
Gewährleistung der Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG) Beschränkungen (oder
ein Verbot) einer Versammlung nur für den Fall zu, dass die öffentliche Sicherheit
oder Ordnung „nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren
Umständen“ bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist (vgl.
z.B. BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2010 – 1 BvR 2636/04 –, NVwZ-RR 2010, 625).
Dadurch ist klargestellt, dass Grundlage der Gefahrenprognose und damit der
Entscheidung der Versammlungsbehörde nur zum Zeitpunkt der behördlichen
Verfügung erkennbare tatsächliche Anhaltspunkte sein können. Demgemäß kommt es
für die Rechtmäßigkeit der Gefahrenprognose auf die zu diesem Zeitpunkt der
Versammlungsbehörde zur Verfügung stehenden Erkenntnisse an (vgl. Bay. VGH,
Urteil vom 10. Juli 2018 – 10 B 17.1996 –, juris). Die Umstände sind erkennbar,
wenn sie entweder offen zu Tage treten oder sie der Versammlungsbehörde nach
den von ihr zu fordernden Bemühung um Sachaufklärung zu Verfügung stehen
(Dürig-Friedl, in: Dürig-Friedl/Enders, Versammlungsrecht, 1. Auflage 2016, §
15 VersG Rn. 60). Im letzteren Fall ist es mit Blick auf die nach § 15 Abs. 1
Satz 1 VersG gebotene Ausübung pflichtgemäßen Ermessens daher grundsätzlich
nicht zulässig, wenn die Versammlungsbehörde die von ihr diesbezüglich zu
fordernden Bemühungen um Sachaufklärung nicht zum Zeitpunkt ihrer Verfügung,
sondern erst nachträglich im Verwaltungsstreitverfahren unternimmt (vgl. Bay.
VGH, Urteil vom 10. Juli 2018 – 10 B 17.1996 –, juris). Bei einer
nachträglichen Änderung der Sachlage nach Erlass des Verwaltungsaktes ist auf
der Grundlage der aktuellen erkennbaren Umstände und Erkenntnisse vielmehr
gegebenenfalls eine neue Entscheidung zu treffen (OVG Rheinland-Pfalz, Urteil
vom 22. September 2016 – 7 A 11077/15.OVG –, juris; Dürig-Friedl, in:
Dürig-Friedl/Enders, a.a.O., § 15 VersG Rn. 60).
Bei den von dem Antragsgegner in der Antragserwiderungsschrift
vom 29. November 2018 geäußerten Sicherheitsbedenken dürfte es sich jedoch
nicht um neue Erkenntnisse handeln. Denn bereits im Bescheid vom 27. November
2018 hat der Antragsgegner auf die Bedeutung von ungehinderten Zu- und
Ausgängen zur Innenstadt nach allen Seiten, insbesondere an einem so stark
frequentierten Zugangspunkt durch den hohen Ziel- und Quellverkehr auf der
Hauptstraße hingewiesen. Jedenfalls hält es die Kammer für angezeigt,
die nunmehr von der Antragsgegnerin ins Verfahren eingeführten Sicherheitsbedenken
entsprechend den in der Rechtsprechung nach dem allgemeinen
Verwaltungsverfahrensrecht gebildeten Grundsätzen zuzulassen (vgl. Bay. VGH,
Urteil vom 10. Juli 2018 – 10 B 17.1996 –, juris). Denn sie lagen schon bei
Erlass der Auflage vor, veränderten diese nicht in ihrem Wesen und der
Antragsteller wurde nicht wesentlich in seiner Rechtsverteidigung
beeinträchtigt. Auch sind die geäußerten Sicherheitsbedenken schlüssig und
nachvollziehbar. Der vom Antragsteller geplante Wegverlauf würde an der Ecke Bismarckstraße/Hauptstraße
vorbeiführen und damit weniger als 100 m von den ersten Ständen des
Weihnachtsmarktes entfernt. Den Weihnachtsmarkt und die Geschäfte in der
Hauptstraße besuchen nach den auf Erfahrungen aus den letzten Jahren beruhenden
Schätzungen der Verbandsgemeinde Kandel während der Hauptgeschäftszeiten im
Durchschnitt etwa 650 Besucher im Rhythmus von zwei Stunden. Das
Sicherheitskonzept sieht vor, dass die Landauer Straße und die Hauptstraße als
Anfahrtsweg für die Feuerwehren und die Katastrophenschutzeinheiten dienen. Im
Einsatzfall wird die Hauptstraße als Aktions- und Bewegungsfläche der
Rettungskräfte und für den Abtransport der Verletzten benötigt.
Diese Gegebenheiten sprechen nicht dafür, dass für
den Moment, in dem die Versammlung des Antragstellers durch die Hauptstraße
laufen würde – das wären etwas mehr als 270 m – ein bloßes Nebeneinander der
Straßenbenutzung durch Versammlungsteilnehmer und Weihnachtsmarktbesuchern bzw.
Geschäftskunden unter Sicherheitsgesichtspunkten akzeptabel wäre (vgl. auch VG
Neustadt/Wstr., Beschluss vom 25. Juni 2015 – 5 L 546/15.NW – zur Verlegung der
Wegstrecke einer Versammlung im Zuge der Veranstaltung des
Rheinland-Pfalz-Tages 2015 im Ramstein). Vielmehr ist von einer Gefährdung der
öffentlichen Sicherheit bei Durchführung der Versammlung in der Hauptstraße
auszugehen.
Die Besucher des Weihnachtsmarktes in Person (Art.
2 Abs. 2 Satz 1 GG) werden vom Schutzgut der öffentlichen Sicherheit erfasst.
Zwar ist der Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses (Erforderlichkeit des
Einsatzes der Rettungskräfte) ungewiss, mit ihm muss aber angesichts der heute
drohenden Gefahren bei größeren Veranstaltungen jederzeit gerechnet werden.
Mithin besteht die hinreichende Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts auch in
dem Zeitraum, in dem die Versammlung des Antragstellers durch die Hauptstraße
führen würde, zu jedem Zeitpunkt.
Zwischen der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit
und der Durchführung der Versammlung ist auch ein hinreichend bestimmter
Kausalzusammenhang gegeben (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21. April 1998 – 1 BvR
2311/94 –, juris). Dies folgt daraus, dass wegen des starken Andrangs
von Besuchern des Weihnachtsmarktes und Kunden der Geschäfte in der Hauptstraße
auf der einen Seite und der besonderen Störanfälligkeit sowie des
intensivierten Kollisionspotenzials der nicht gegenüber der Umwelt
abgeschlossenen Versammlung des Antragstellers auf der anderen Seite ein
höheres, weniger beherrschbares Gefahrenpotenzial angenommen werden muss (vgl.
BVerfG, Urteil vom 22. Februar 2011 – 1 BvR 699/06 –, NJW 2011, 1201; OVG
Rheinland-Pfalz, Urteil vom 22. September 2016 – 7 A 11077/15.OVG –, juris).
Wenn der Antragsgegner vor diesem Hintergrund den Bereich der Hauptstraße, den
der Antragsteller für die Durchführung seiner Versammlung in Anspruch nehmen
will, nicht akzeptiert, so ist das nicht zu beanstanden.
2.2.3.3. Ungeachtet dessen dürften auch die
weiteren von dem Antragsgegner bereits im Bescheid vom 27. November 2018
vorgebrachten Gründe die Verlegung der Wegstrecke rechtfertigen. Es bestehen
keine rechtlich durchgreifenden Bedenken gegen die Entscheidung des
Antragsgegners, im Rahmen der praktischen Konkordanz den Rechtsgütern der
Weihnachtsmarktbesucher und der Geschäftsinhaber in der Hauptstraße gegenüber
dem Recht des Antragstellers aus Art. 8 GG auf Selbstbestimmung des
Versammlungsortes in der Weihnachtszeit den Vorrang zu geben.
2.2.3.4. Das Grundrecht des Art. 8 GG kann eine
zulässige Einschränkung auch dann erfahren, wenn es zu einer Kollision mit
anderen Rechtsgütern kommt. Dies ist etwa dann denkbar, wenn dem Recht auf
Ausübung der Versammlungsfreiheit anderweitige Grundrechte Rechte Dritter
gegenüberstehen (Peters, LKV 2016, 193, 196). Darunter fallen etwa die
grundrechtlich geschützten Rechte Dritter wie z.B. das Recht auf Ausübung der
Religionsfreiheit (Art. 4 GG; s. dazu VG Münster, Beschluss vom 9. Mai 2018 – 1
L 507/18 –, juris zum Ausschluss von stationären Kundgebungen anlässlich der
Durchführung eines Katholikentages), die Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG),
Berufsfreiheit (Art. 12 GG) oder das Eigentumsrecht (Art. 14 GG). Die
Behörde hat im Regelfall lediglich zu prüfen, ob durch die Wahl des konkreten
Versammlungsorts Rechte anderer oder sonstige verfassungsrechtlich geschützte
Rechtsgüter der Allgemeinheit beeinträchtigt werden. Wird den gegenläufigen
Interessen Dritter oder der Allgemeinheit bei der Planung der angemeldeten
Versammlung nicht hinreichend Rechnung getragen, kommen versammlungsrechtliche
Auflagen in Betracht, um eine praktische Konkordanz beim Rechtsgüterschutz
herzustellen (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 21. September 2018 –
15 B 1405/18 –, juris; VG Münster, Beschluss vom 9. Mai 2018 – 1 L 507/18 –,
juris). Dem Veranstalter steht hierbei kein Bestimmungsrecht darüber zu, mit
welchem Gewicht die Rechtsgüter in die Abwägung einzubringen sind und wie die
Interessenkollision rechtlich bewältigt werden kann. Es obliegt der Behörde,
einerseits die Rechte und Pflichten der Versammlungsteilnehmer zu
konkretisieren, andererseits aber auch das Maß dessen zu bestimmen, was
Drittbetroffenen infolge der Durchführung der Versammlung an Einschränkungen
zugemutet werden muss und welche Beeinträchtigungen sie als Träger
kollidierender Rechtsgüter hinzunehmen haben und welche nicht (vgl. BVerfG,
Beschluss vom 26. November 2001 – 1 BvQ 9/01 –, juris; VG Leipzig, Beschluss
vom 26. November 2015 – 1 L 1384/15 –; Hoffmann-Riem, NVwZ 2002, 257, 264).
Hieraus ergibt sich zugleich, dass es nicht um eine Maßnahme gegen einen Störer
oder Nichtstörer geht, sondern um einen Ausgleich der gegenläufigen und
prinzipiell gleichgewichtigen Interessen der Versammlung und etwaiger
entgegenstehender Rechtsgüter.
2.2.3.5. Gemessen an diesen Maßstäben ist zu berücksichtigen,
dass es sich bei der geplanten Versammlung des Antragstellers am 1. Dezember
2018 nicht um ein einmaliges Ereignis handelt, sondern der Antragsteller seit
Januar 2018 bisher insgesamt 16mal überwiegend samstags eine Versammlung
durchgeführt hat. An 12 Versammlungstagen (Samstage und sonstige Wochentage)
führten die Versammlungen bzw. Aufzüge zu kurzfristigen oder vollständigen
Sperrungen der Hauptstraße (s. die Aufstellung des Antragsgegners auf Blatt 76
der Gerichtsakte). Für das Jahr 2019 hat der Antragsteller ebenfalls mit Ausnahme des 5.
Januar 2019 für jeden ersten Samstag im Monat eine öffentliche Versammlung
unter freiem Himmel in Kandel angemeldet, deren Aufzug laut Anmeldung wiederum
jeweils über die Hauptstraße führen soll. Die bisherigen Versammlungen im Jahre
2018 führten meistens zu zahlreichen Gegenversammlungen. Ausweislich des
Artikels „178 Strafanzeigen bei Demonstrationen in Kandel“ in der Tageszeitung
„Die Rheinpfalz“ vom 22. November 2018 gab es im Zusammenhang mit den Demonstrationen
in Kandel, zu denen es nach dem gewaltsamen Tod der 15-jährigen Schülerin Mia
kam, 178 Strafanzeigen gegen Teilnehmer. Insgesamt waren es an 17 Tagen 39
Kundgebungen mit rund 13.700 Demonstranten sowohl des rechten als auch des linken Spektrums.
Die aufgezählten Versammlungen waren auch jeweils
mit erheblichen Einschränkungen Dritter verbunden. Dies sowohl im Hinblick auf
die Bewegungsfreiheit, erheblichen Einschränkungen im Straßenverkehr und
öffentlichen Verkehr, als auch mit Geschäftseinbußen von Händlern,
Restaurantbesitzern usw. im Innenstadtbereich von Kandel. Nach Angaben des
Innenministeriums Rheinland-Pfalz leistete die Polizei aufgrund der Ereignisse
in Kandel etwa 41.000 Einsatzstunden (s. den bereits zitierten Artikel aus der
Tageszeitung „Die Rheinpfalz“ vom 22. November 2018).
Der Antragsgegner hat in der Begründung des
Auflagenbescheids schlüssig und nachvollziehbar dargelegt, dass am Samstag, dem
1. Dezember 2018 wegen des Weihnachtsmarktes hinsichtlich des vom Antragsteller
angemeldeten Termins insofern eine erhöhte Schutzwürdigkeit der oben benannten
Rechtsgüter besteht, da – zusätzlich zum täglichen innerstädtischen Leben – der Kandeler
Weihnachtsmarkt mit 56 Ständen auf dem Marktplatz sowie „Am Plätzel“ und damit
im näheren Umkreis der Hauptstraße stattfindet. Der Antragsgegner hat
angegeben, nach Schätzung des Vereins Handel und Gewerbe in Kandel müsse davon
ausgegangen werden, dass während der Hauptgeschäftszeiten von 10.00 Uhr bis
18.00 Uhr im Zusammenhang mit dem Christkindelmarktbesuch im Durchschnitt 650
Besucher im Rhythmus von 2 Stunden den Markt bzw. die Hauptstraße besuchten.
Die in Rede stehenden Rechtsgüter Dritter, vorliegend insbesondere das Recht
auf allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG), das Recht auf Berufsfreiheit
(Art. 12 GG) und das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb
(Art. 14 GG) sowie der Verkehr würden gerade im Verlauf des Weihnachtsmarktes
in einer nicht zu gerechtfertigten Art und Weise beeinträchtigt werden.
Die Kammer teilt die Auffassung des Antragsgegners,
dass die genannten Beeinträchtigungen nicht nur eine nicht hinzunehmende
„Lästigkeit“ darstellen, sondern eine erhebliche Beeinträchtigung und
Einschränkung unbeteiligter Dritter. Deren Rechte sind in der Interessenabwägung
ebenfalls zu berücksichtigen. Dabei wurde seitens des Antragsgegners angesichts
des erhöhten Besucheraufkommens in der Kleinstadt Kandel insbesondere auch auf
die Bedeutung von ungehinderten Zu- und Ausgängen zur Innenstadt nach allen
Seiten, insbesondere an einem stark frequentierten Zugangspunkt durch den hohen
Ziel- und Quellverkehr auf der Hauptstraße hingewiesen.
Angesichts des nach wie vor aufgeheizten Klimas
anlässlich der seit Monaten in Kandel stattfindenden Demonstrationen sowohl des
rechten als auch des linken Spektrums (s. Beschluss der Kammer vom 5. Oktober
2018 – 5 L 1338/18.NW –, juris; vgl. auch Süddeutsche Zeitung vom 7. Oktober
2018 „Stimmung bei Demonstrationen in Kandel aufgeheizt“, abgerufen am 29.
November 2018 unter https://www.sueddeutsche.de/news/politik/demonstrationen---kandel-stimmung-bei-demonstrationen-in-kandel-aufgeheizt-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-181006-99-258787)
hat die Kammer keine rechtlich durchgreifenden Bedenken, dass der Antragsgegner
unmittelbaren Gefährdungen für die öffentliche Sicherheit und Ordnung gerade am
Samstag, dem 1. Dezember 2018, an dem in der Innenstadt wegen des Beginns der
Adventzeit und der Eröffnung des Weihnachtsmarktes mit weit mehr Personen als
sonst üblich gerechnet werden muss, vorbeugend mittels einschränkenden
Verfügungen, zu denen für den Samstag, den 1. Dezember 2018 insbesondere eine
Wegstreckenänderung der von dem Antragsteller angemeldeten Versammlung gehört,
begegnet. Die von dem Antragsgegner gewählte Wegstreckenänderung wird nach
Auffassung der Kammer einerseits dem Interesse des Antragstellers an einer
möglichst wirksamen Durchsetzung seines Grundrechts aus Art. 8 Abs. 1 GG und
andererseits auch den Interessen der Weihnachtsmarktbesucher und der
Geschäftsinhaber in der Hauptstraße gerecht.
Es ist allgemein bekannt, dass die Weihnachtszeit
gerade für den stationären Handel die wichtigste und umsatzstärkste Zeit im
Jahr ist (s. nur https://www.handelsdaten.de/handelsthemen/weihnachten,
abgerufen am 29. November 2018). Sowohl die Geschäftsinhaber in der Hauptstraße
als auch die Händler auf dem Weihnachtsmarkt sind auf Kunden angewiesen; für so
manchen dieser Händler stellt die vierwöchige Zeit auf dem Weihnachtsmarkt die
maßgebliche Einnahmequelle im Jahr dar. Insofern sind gerade diese Händler auf
Kundschaft an jedem Tag, mithin auch am Samstag, dem 1. Dezember 2018,
angewiesen (vgl. VG Leipzig, Beschluss vom 26. November 2015 – 1 L 1384/15 –).
Besonders fällt ins Gewicht, dass an diesem Tag der Weihnachtsmarkt eröffnet wird, weshalb
die Geschäfte in der Hauptstraße ihre Läden – ebenso wie an den weiteren
Adventssamstagen – abweichend von ihren sonstigen Öffnungszeiten – bis 18 Uhr
offenhalten.
Aus dem Umstand, dass der Antragsgegner bzw. die
Vertreter der Verbandsgemeinde Kandel beim Kooperationsgespräch am 19. November
2018 keine Bedenken gegen die vom Antragsteller ausgewählte Streckenführung
geäußert hatten, kann der Antragsteller nichts zu seinen Gunsten herleiten.
Denn maßgebend ist alleine, ob die Wegstreckenänderung materiell-rechtlich zu
beanstanden ist.
Mit der Verlegung der Wegstrecke einschließlich der
dadurch notwendig werdenden Änderung des Ortes für die Zwischenkundgebung von
der Ecke Bismarckstraße/Hauptstraße in Ecke Bahnhofstraße/Rheinstraße wird die
Versammlungsfreiheit des Antragstellers aus Art. 8 Abs. 1 GG nicht
unverhältnismäßig beeinträchtigt. Der Antragsgegner hat die Versammlung nicht
verboten, sondern als milderes Mittel eine den Versammlungsort modifizierende
Auflage gewählt. Der Antragsteller ist für sein mit der Anmeldung zum Ausdruck
gebrachtes Anliegen – Migrationspolitik, Innere Sicherheit – nicht zwingend auf
den 270 m langen Streckenabschnitt in der Hauptstraße angewiesen. Die
Veranstaltung findet nach wie vor im Bereich der Kandeler Innenstadt statt.
Eine wesentliche Veränderung des Ablaufs oder des Inhalts der Versammlung ist
mit der Auflage nicht verbunden. Der Antragsgegner hat zu Recht darauf
hingewiesen, dass sowohl die Bahnhofstraße als auch die Rheinstraße ebenfalls
Hauptverkehrsstraßen und als solche dicht besiedelt sind, so dass der Aufzug
des Antragstellers von Passanten genauso gut wahrgenommen werden kann wie in
der Hauptstraße. Vor dem Hintergrund der Häufung an Versammlungen des
Antragstellers im Jahre 2018 und bereits für das Jahr 2019 angekündigten
Demonstrationen hat sein Recht auf Versammlungsfreiheit vorliegend zumindest
für die Zeit des Weihnachtsmarktes gegenüber den Grundrechten Dritter
zurückzutreten.
3. Bestehen daher im Ergebnis keine rechtlich
durchgreifenden Bedenken gegen die streitgegenständliche Entscheidung des
Antragsgegners, so ist es auch nicht zu beanstanden, dass der Antragsgegner dem
öffentlichen Interesse an der Wegstreckenverlegung höheres Gewicht eingeräumt
hat als dem Interesse des Antragstellers an der Abhaltung seiner Versammlung an
exakt den von ihm gewählten Orten.
Ohne die sofortige Vollziehbarkeit könnte aufgrund
der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs die Versammlung wie angemeldet
durchgeführt werden, da eine rechtskräftige Entscheidung über den Rechtsbehelf
des Antragstellers bis zum Abschluss der Veranstaltung ausgeschlossen ist.
Damit könnte den Gefahren für die öffentliche Sicherheit nicht wirksam begegnet
werden, deren Abwehr der voraussichtlich rechtmäßige Bescheid vom 27. November
2018 dient.
Die
Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die
Wertfestsetzung richtet sich nach §§ 53 Abs. 2 i.V.m. § 52 Abs. 2
Gerichtskostengesetz – GKG –. In Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ist
bei versammlungsrechtlichen Auflagen wegen Vorwegnahme der Hauptsache
regelmäßig kein Abschlag gegenüber dem im Hauptsacheverfahren anzunehmenden
Streitwert vorzunehmen (OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 13. Februar 2014 – 7
E 10074/14.OVG; Beschluss vom 9. Oktober 2012 – 7 E 11034/12.OVG –).