vorgehend VG Trier, 11 K 209/28.TR
Tenor
Auf die Berufung des Klägers werden
unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Trier vom 20. Juli 2018
der Bescheid des Beklagten vom 14. Juni 2017 und der Widerspruchsbescheid des
Beklagten vom 13. Dezember 2017 aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des
Verfahrens in beiden Rechtszügen.
Das Urteil ist wegen der Kosten
vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festzusetzenden Kosten
abwenden, sofern nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger wehrt sich gegen die Inanspruchnahme aus
einer ausländerrechtlichen Verpflichtungserklärung.
Mit schriftlicher Erklärung vom 1. September 2015
verpflichtete sich der 1976 geborene Kläger gegenüber der Ausländerbehörde der
Stadt Wiesbaden, die Kosten für Leistungen zum Lebensunterhalt für die
syrischen Staatsangehörigen J. (Bruder des Klägers), geboren 1957, F. (Ehefrau
des Bruders), geboren 1960, und S. (deren Tochter), geboren 1998, zu
übernehmen.
Unter dem Punkt „Dauer der Verpflichtung“ heißt es in
dem bundeseinheitlich verwendeten Formular auf Seite 1, dass der Erklärende
sich verpflichtet, „vom Tag der voraussichtlichen Einreise am 1. September 2015
bis zur Beendigung des Aufenthalts [...] oder bis zur Erteilung eines
Aufenthaltstitels zu einem anderen Aufenthaltszweck“ die Kosten für den
Lebensunterhalt und die Ausreise der Ausländer zu tragen. Auf Seite 2 der dazu
abgegebenen Erklärung folgt eine Erläuterung, welche Kosten anfallen können
bzw. zu erstatten sind. Hierunter fallen u.a. auch Leistungen nach dem Zweiten
Buch Sozialgesetzbuch – SGB II –. Unter „Bemerkungen“ ist zur voraussichtlichen
Dauer des Aufenthalts „unbekannt“ und zum Zweck des Aufenthalts „humanitäre
Gründe“ eingetragen. Ferner ist dort vermerkt, dass die Bonität geprüft und
glaubhaft gemacht worden sei.
Daran anschließend findet sich in der Verwaltungsakte
der Ausländerbehörde auf einem gesonderten Blatt eine handschriftliche
Berechnung der finanziellen Leistungsfähigkeit des Klägers. Diese gelangt unter
Berücksichtigung der Regelsätze für die von der Verpflichtungserklärung
erfassten drei Personen und für eine weitere „Familie H.“ nach Abzug eines als
„Pfg“ bezeichneten Betrages von 1.235,85 € – offensichtlich die zugrunde gelegte
Pfändungsgrenze – zu einem dem Kläger verbleibenden Restguthaben von 1.330,48
€. Für eine Familie H. hatte der Kläger schon am 15. April 2014 eine
Verpflichtungserklärung gegenüber der Ausländerbehörde der Stadt Wiesbaden
abgegeben, die seine 1982 geborene Nichte H. sowie drei Kinder betraf.
J., F. und S. reisten im Dezember 2015 in die
Bundesrepublik Deutschland ein. Am 15. Januar 2016 wurden ihnen
Aufenthaltserlaubnisse nach § 23 Abs. 1 AufenthG erteilt. Mit Bescheid des
Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 4. März 2016 wurde ihnen die
Flüchtlingseigenschaft zuerkannt und nachfolgend – am 14. März 2016 – von der
Ausländerbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg jeweils eine
Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG erteilt.
Ab Anfang März 2016 gewährte der Beklagte ihnen
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II, insbesondere den
Regelbedarf nach Arbeitslosengeld II, Bedarfe für Unterkunft und Heizung sowie
Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung.
Mit Schreiben vom 11. Januar 2017 setzte der Beklagte
den Kläger über die geplante Inanspruchnahme aus der Verpflichtungserklärung in
Kenntnis und gab diesem Gelegenheit, hierzu Stellung zu nehmen. Der Kläger
lehnte die Erstattungsansprüche ab. Zur Begründung trug er vor, nach
Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft hätten seine drei syrischen Verwandten
einen Aufenthaltstitel nach § 25 Abs. 2 AufenthG erhalten. Hierdurch sei eine
Änderung des Aufenthaltszwecks eingetreten und die Gültigkeit der abgegebenen
Verpflichtungserklärung erloschen.
Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 14. Juni 2017
forderte der Beklagte von dem Kläger die Erstattung von insgesamt 24.645,55 €
betreffend Familie J. für im Zeitraum vom 1. März 2016 bis 31. Januar 2017
verauslagte Kosten zum Lebensunterhalt. Den hiergegen eingelegten Widerspruch
wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 13. Dezember 2017 zurück.
Der Kläger hat am 9. Januar 2018 Klage erhoben. Zur
Begründung hat er vorgetragen, er habe sich darauf verlassen, dass die
Erstattungspflicht mit einer Flüchtlingsanerkennung erlösche. Die
Bundesarbeitsministerin sei damals ebenfalls zu dem Schluss gekommen, die bis
zur gesetzlichen Neufassung der aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen im August
2016 gegebene unklare Rechtslage habe maßgeblich dazu beigetragen, dass
Verpflichtungsgeber sich der Reichweite der von ihnen eingegangenen
Verpflichtungen nicht bewusst gewesen seien. Jedenfalls stehe ihm ein
Anfechtungsrecht nach § 119 Abs. 1 BGB wegen Inhaltsirrtums zu. Vor Abgabe der
Erklärung sei er nicht ausreichend über den Umfang und die Dauer der Haftung
belehrt worden. Schließlich liege ein atypischer Fall vor, der eine hier nicht
vorliegende Ermessensentscheidung des Beklagten erforderlich werden lasse. Die
Aufnahme der syrischen Bürgerkriegsflüchtlinge sei eine öffentliche
Angelegenheit gewesen. Dementsprechend sollten die mit der Aufnahme verbundenen
Lasten und Risiken nicht nur von Privaten und nichtstaatlichen Stellen, sondern
auch von der öffentlichen Hand getragen und gerecht aufgeteilt werden, was im
Rahmen des Ermessens zu berücksichtigen sei. Er werde zudem mit Forderungen
belastet, die zu einer ausweglosen Überschuldung führten. Aus diesem Grund sei
die Verpflichtungserklärung treuwidrig.
Der Beklagte ist der Auffassung des Klägers
entgegengetreten.
Mit Urteil vom 20. Juli 2018 hat das Verwaltungsgericht
die Klage abgewiesen. Es liege eine formwirksame schriftliche
Verpflichtungserklärung im Sinne des § 68 AufenthG vor. Die erbrachten Leistungen
lägen innerhalb des Haftungszeitraums. Insbesondere sei die Verpflichtung nicht
dadurch erloschen, dass den Begünstigten die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt
und ihnen Aufenthaltserlaubnisse nach § 25 Abs. 2 AufenthG erteilt worden
seien. Denn diese zuletzt ausgestellte Aufenthaltserlaubnis stelle nach Kapitel
2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes keinen Aufenthaltstitel zu einem anderen
Zweck dar. Auch sonst seien keine Anhaltspunkte dafür vorhanden, dass in der
Verpflichtungserklärung ein von den übergreifenden Aufenthaltszwecken des
Aufenthaltsgesetzes abweichender engerer Zweckbegriff verwendet worden sein
könnte. Insbesondere ergebe sich ein solcher nicht aus der bei Abgabe der
Verpflichtungserklärung in Hessen gültigen Aufnahmeanordnung des Hessischen
Ministeriums des Innern und für Sport nach § 23 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes
vom 19. September 2013. Aus diesem Grund müsse an dieser Stelle auch nicht
darüber entschieden werden, inwieweit solche behördeninternen
Verwaltungsvorschriften überhaupt Einfluss auf die Weite der Haftung aus einer
Verpflichtungserklärung haben könnten. Die vom Kläger abgegebene
Verpflichtungserklärung sei nicht wegen unzureichender Belehrung durch die
Ausländerbehörde über den Umfang und die Dauer der Haftung nichtig und
erstrecke sich in sachlicher Hinsicht auf die hier zu erstattenden Leistungen
nach dem SGB II. Schließlich sei die Heranziehung des Klägers nicht
unverhältnismäßig. Es liege kein atypischer Fall vor. Die Ausländerbehörde habe
die Bonität des Klägers hinreichend geprüft. Nach seinen eigenen Angaben sei
der Kläger zwischenzeitlich als Funktionsoberarzt in einer Klinik beschäftigt
und finanziell offensichtlich noch bessergestellt als bei Abgabe der
Verpflichtungserklärung im September 2015. Es spreche daher nichts dafür, dass
seine Heranziehung zu einer unzumutbaren Belastung führen könnte. Auch aus
sonstigen Gründen sei kein atypischer Fall anzunehmen. Der Staat sei seiner
Verpflichtung, die mit der Aufnahme von Bürgerkriegsflüchtlingen verbundenen
Lasten und Risiken gerecht aufzuteilen, nachgekommen. Die in § 68a Satz 1
AufenthG aufgenommene Beschränkung für vor dem 6. August 2016 abgegebene
Verpflichtungserklärungen sei hierzu ausreichend.
Das Verwaltungsgericht hat die Berufung zugelassen.
Der Kläger wiederholt seinen erstinstanzlichen Vortrag
und trägt ergänzend vor, die Berechnung seiner finanziellen Leistungsfähigkeit
sei fehlerhaft. Von dem auch vom Verwaltungsgericht zugrunde gelegten
monatlichen Nettoeinkommen in Höhe von 4.755,33 € seien seine Kranken- und
Pflegeversicherungsbeiträge abzuziehen sowie von ihm gezahlte Beiträge zur
Rentenversicherung, insgesamt etwa 1.000,00 €. Bei Abgabe der
Verpflichtungserklärung habe er beruflich bedingt zwei Haushalte geführt und
daher für zwei Wohnungen insgesamt ca. 1.300,00 € monatlich an Miete zahlen
müssen.
Unter Vorlage von weiteren vier von ihm in den Jahren
2013 bis 2015 abgegebenen Verpflichtungserklärungen für insgesamt dreizehn
Personen (einschließlich der schon oben erwähnten Familie H.) macht er geltend,
der Beklagte habe diese Erklärungen ebenfalls berücksichtigen müssen.
Ferner sei zu würdigen, dass er nach Abgabe der hier
streitgegenständlichen Erklärung geheiratet habe und Vater geworden sei. Auch
gegenüber Ehefrau und Kind sei er nunmehr zum Unterhalt verpflichtet. Er habe
ein Haus gekauft und müsse für einen deswegen aufgenommenen Kredit monatlich
ca. 2.800,00 € abbezahlen. Unabhängig hiervon sei die Entscheidung über seine
Heranziehung ermessensfehlerhaft, da die Bonitätsprüfung der Ausländerbehörde
aus den von ihm aufgeführten Gründen nicht tragfähig sei. Darüber hinaus habe
das Verwaltungsgericht die Übernahme der Kranken- und Pflegeversicherungskosten
zu Unrecht als rechtmäßig bewertet. Nach der Hessischen Aufnahmeanordnung seien
diese von den zu erstattenden Kosten ausdrücklich ausgenommen gewesen.
Hilfsweise berufe er sich darauf, dass die Formulierung in der
Verpflichtungserklärung zur zeitlichen Reichweite seiner Haftung aus Sicht des
Erklärenden mehrdeutig gewesen sei. Dies gehe zu Lasten der Ausländerbehörde,
womit eine Haftung schon dem Grunde nach ausscheide. Schließlich sei der
Erstattungsbescheid nach dem eindeutigen Inhalt der zwischenzeitlich ergangenen
Weisung 201903003 der Bundesagentur für Arbeit vom 1. März 2019 (Geschäftszeichen:
GR 1 – AZ: II-1101 / CF 2 – AZ: 3450) zum „Umgang mit den
Erstattungsforderungen aus Verpflichtungserklärungen nach §§ 68, 68a
Aufenthaltsgesetz im Rahmen der Landesaufnahmeprogramme“ ohnehin aufzuheben.
Der
Kläger beantragt,
unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts Trier
vom 20. Juli 2018 den Bescheid des Beklagten vom 14. Juni 2017 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheids des Beklagten vom 13. Dezember 2017 aufzuheben.
Der
Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er bezieht sich auf die Ausführungen im angefochtenen
Urteil. Auch unter Abzug der vom Kläger gezahlten Kranken- und
Pflegeversicherungsbeiträge und der berufsständischen Altersvorsorge verbleibe
ein ausreichendes Einkommen. Den vorgelegten Verdienstbescheinigungen sei zu
entnehmen, dass das Einkommen des Klägers im Laufe der Zeit gestiegen sei. Auch
seien an diesen am Ende des Jahres Sonderzahlungen von nicht unerheblicher Höhe
gezahlt worden. Von der Ausländerbehörde sei außerdem nicht berücksichtigt
worden, dass der Kläger mit Steuerbescheid vom 2. Februar 2018 einen Betrag von
6.715,08 € zurückerhalten habe. Eine unzureichende Bonitätsprüfung wegen
weiterer Verpflichtungserklärungen sei nicht erkennbar. Es stelle sich die
Frage, ob überhaupt und ggf. in welcher Form sich weitere
Verpflichtungserklärungen auf die Bonitätsprüfung ausgewirkt haben könnten.
Unabhängig davon dürften sich andere Verpflichtungserklärungen auf den
vorliegenden Fall schon allein deswegen nicht auswirken, da jede Inanspruchnahme
gesondert zu prüfen sei. Eine Inanspruchnahme aus jeder abgegebenen Erklärung
sei nicht zwingend.
Die
Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.
Wegen
der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakten verwiesen. Diese waren
Gegenstand der Beratung.
Entscheidungsgründe
Die
Berufung des Klägers, über die der Senat im Einverständnis mit den Beteiligten
ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann (§ 101 Abs. 2 VwGO), ist begründet.
Das
Verwaltungsgericht hätte der Klage stattgeben müssen. Der Bescheid des
Beklagten vom 14. Juni 2017 über die Heranziehung zu Kosten, die der Beklagte
für den Lebensunterhalt der syrischen Staatsangehörigen J., F. sowie S. nach
dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – SGB II – im Zeitraum vom 1. März 2016 bis
zum 31. Januar 2017 aufgewandt hat, und der hierzu ergangene
Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 13. Dezember 2017 sind rechtswidrig und
verletzen den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
I.
Keiner
abschließenden Entscheidung bedarf hierbei die Frage, ob die
Verpflichtungserklärung des Klägers bereits in zeitlicher Hinsicht nicht (mehr)
den hier vom Beklagten allein beanspruchten Zeitraum betraf, in welchem die
eingeladenen Personen bereits als Flüchtlinge anerkannt und ihnen entsprechende
Aufenthaltserlaubnisse nach § 25 Abs. 2 AufenthG erteilt worden waren (vgl.
einerseits zur Auslegung der solch einer Verpflichtungserklärung zugrunde
liegenden Willenserklärung unter der Annahme, die Haftung erstrecke sich nicht
mehr auf diesen Zeitraum: VGH BW, Urteil vom 12. Juli 2017 – 11 S 2338/16 –,
juris, Rn. 27 ff.; OVG Nds, Urteil vom 11. Februar 2019 – 13 LB 441/18 – juris,
Rn. 28 ff. unter Würdigung der besonderen Situation in Niedersachsen; sowie
andererseits zu dem Auslegungsergebnis, wonach auch noch dieser Zeitraum von
der Erklärung erfasst sei: OVG NRW, Urteil vom 8. Dezember 2017 – 18 A 1125/16 –,
juris, Rn. 30 ff.; SaarlOVG, Beschluss vom 17. April 2019 – 2 D 286/18 –,
juris, Rn. 20; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 24. Juni 2019 – 2 L 17/18 –,
juris, Rn. 10 f.,).
II.
Es
fehlt jedenfalls an der im Falle des Klägers zu fordernden Ermessensausübung
des Beklagten darüber, ob überhaupt bzw. in welchem Umfang ein
Erstattungsanspruch gegen den Kläger geltend gemacht wird. Sie war wegen des
Vorliegens mehrerer atypischer Umstände geboten.
Wer
sich der Ausländerbehörde oder einer Auslandsvertretung gegenüber verpflichtet
hat, die Kosten für den Lebensunterhalt eines Ausländers zu tragen, hat nach §
68 Abs. 1 Satz 1 AufenthG für einen Zeitraum von fünf Jahren sämtliche
öffentlichen Mittel zu erstatten, die für den Lebensunterhalt des Ausländers
einschließlich der Versorgung mit Wohnraum und der Versorgung im
Krankheitsfalle und bei Pflegebedürftigkeit aufgewendet werden, auch soweit die
Aufwendungen auf einem gesetzlichen Anspruch des Ausländers beruhen.
Aufwendungen, die auf einer Beitragsleistung beruhen, sind hiervon nach § 68 Abs.
1 Satz 2 AufenthG ausgenommen. Bei Verpflichtungserklärungen, die vor dem 6.
August 2016 – dem Inkrafttreten des Integrationsgesetzes vom 31. Juli 2016
(BGBl. I S. 1939) –abgegeben worden sind, reduziert sich der Haftungszeitraum
auf drei Jahre (§ 68a AufenthG). Gemäß § 68 Abs. 2 Satz 1 AufenthG bedarf die
Verpflichtung der Schriftform. Der Erstattungsanspruch steht nach § 68 Abs. 2
Satz 3 AufenthG der öffentlichen Stelle zu, die die öffentlichen Mittel
aufgewendet hat. Diese Regelung setzt die Befugnis der erstattungsberechtigten
Stelle voraus, den Erstattungsanspruch durch Verwaltungsakt (Leistungsbescheid)
geltend zu machen (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Februar 2014 – 1 C 4/13 –
BVerwGE 149, 65, 68 = juris, Rn. 8 m.w.N.).
Das
Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und das Gebot, bei der Aufstellung
und Ausführung des Haushaltsplans die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und
Sparsamkeit zu beachten (§ 6 Abs. 1 des Gesetzes über die Grundsätze des
Haushaltsrechts des Bundes und der Länder – Haushaltsgrundsätzegesetz [HGrG] –)
verlangen in der Regel, dass die öffentliche Hand ihr zustehende
Geldleistungsansprüche durchzusetzen hat. Die Rechtsordnung sieht aber
zugleich, wenn auch rechtstechnisch in unterschiedlichen Ausformungen (vgl.
z.B. §§ 163, 227 AO; § 135 Abs. 5 BauGB; § 12 Abs. 2 Satz 3 BBesG; § 52 Abs. 2
Satz 3 BeamtVG) durchweg vor, dass von dieser Regel bei Vorliegen atypischer
Gegebenheiten abgewichen werden kann. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen,
dass die strikte Anwendung der Gesetze Folgen haben kann, die vom Gesetzgeber
nicht gewollt sind und mit den Grundsätzen der Gerechtigkeit und der
Verhältnismäßigkeit, insbesondere der Rücksichtnahme auf die individuelle
Leistungsfähigkeit, nicht vereinbar wären. Besonderheiten des Einzelfalls zu
berücksichtigen, ist danach nicht den vollstreckungsrechtlichen Instrumenten
der Stundung, der Niederschlagung und des Erlasses vorbehalten (vgl. § 31 Abs.
2 HGrG; § 59 BHG), vielmehr bereits bei der Geltendmachung der Forderung von
rechtlicher Bedeutung (BVerwG, Urteil vom 24. November 1998 – 1 C 33/97 –,
BVerwGE 108, 1 = juris, Rn. 59).
Diese
Grundsätze sind auf den Erstattungsanspruch nach § 68 AufenthG zu übertragen.
Demgemäß ist der Verpflichtete im Regelfall zur Erstattung heranzuziehen, ohne
dass es dahingehender Ermessenserwägungen bedürfte. Ein Regelfall liegt vor,
wenn die Voraussetzungen des Aufenthaltstitels einschließlich der finanziellen
Belastbarkeit der Verpflichteten im Verwaltungsverfahren voll und individuell
geprüft worden sind und nichts dafür spricht, dass die Heranziehung zu einer
unzumutbaren Belastung führen könnte. Hingegen hat die erstattungsberechtigte
Stelle bei atypischen Gegebenheiten im Wege des Ermessens zu entscheiden, in
welchem Umfang der Anspruch geltend gemacht wird und welche
Zahlungserleichterungen dem Verpflichteten etwa eingeräumt werden. Wann in
diesem Sinne ein Ausnahmefall vorliegt, ist anhand einer wertenden Betrachtung
aller Umstände des Einzelfalls zu entscheiden und unterliegt voller
gerichtlicher Überprüfung. Im Übrigen ist unter Würdigung vornehmlich der
Umstände, unter denen die Verpflichtungserklärung abgegeben worden ist, zu
klären, ob die Heranziehung zur vollen Erstattung der Aufwendungen gemäß § 68
AufenthG namentlich im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
gerechtfertigt ist oder ob es weiterer Erwägungen bedarf, um zu einem
angemessenen Interessenausgleich zu gelangen (st. Rspr. des BVerwG, vgl. etwa
Urteil vom 24. November 1998 – 1 C 33/97 –, a.a.O.; vom 13. Februar 2014 – 1 C
4/13 –, BVerwGE 149, 65 = juris, Rn. 16; Beschluss vom 18. April 2018 – 1 B
6/18 –, juris, Rn. 9).
Nach
Maßgabe dieser Grundsätze ist hier aus zwei voneinander unabhängigen Gründen
ein Ausnahmefall gegeben. Zum einen hat der Kläger die Verpflichtungserklärung
unter besonderen (äußeren) Umständen abgegeben (1.). Zum anderen ist die
finanzielle Belastbarkeit des Klägers im Verwaltungsverfahren von der
Ausländerbehörde evident unzureichend geprüft worden (2.). Die aus diesen
Gründen erforderliche Ermessensentscheidung hat der Beklagte nicht getroffen
(3.).
1. Bis
zum Inkrafttreten des Integrationsgesetzes vom 31. Juli 2016 mit Wirkung vom 6.
August 2016 und der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. Januar
2017 – 1 C 10/16 – (juris) herrschte hinsichtlich der Dauer der Haftung aus
Verpflichtungserklärungen, die im Zusammenhang mit Landesaufnahmeprogrammen
abgegeben wurden, eine unklare Rechtslage. Die für die Abgabe von
Verpflichtungserklärungen verwendeten Vordrucke sahen regelmäßig eine Haftung
„bis zur Beendigung des Aufenthalts [...] oder bis zur Erteilung eines
Aufenthaltstitels zu einem anderen Aufenthaltszweck“ vor. Einige
Landesministerien und -behörden, u.a. in den Ländern Hessen, Niedersachsen und
Nordrhein-Westfalen, vertraten hierzu die Rechtsauffassung, dass ein
Aufenthaltstitel für im Rahmen von Landesaufnahmeprogrammen aufgenommene
Flüchtlinge nach § 23 Abs. 1 AufenthG im Vergleich zu einem Aufenthaltstitel
für anerkannte Asyl- und international Schutzberechtigte nach § 25 Abs. 1 und 2
AufenthG einen anderen Aufenthaltszweck begründe und die Gültigkeitsdauer einer
Verpflichtungserklärung damit ende. Das Bundesinnenministerium und das
Bundesarbeitsministerium hingegen waren der Ansicht, auch bei Asylanerkennung
und Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 25 AufenthG bleibe der
Aufenthaltszweck derselbe und die Haftung der Verpflichtungsgeber bestehe
unverändert fort. Das Land Hessen hat sowohl gegenüber dem Bundesinnenminister
als auch der Bundesarbeitsministerin durchgehend die gegenteilige
Rechtsauffassung vertreten. Hierzu hat sich das Hessische Innenministerium auch
in der Öffentlichkeit und gegenüber den Bundesbehörden stets bekannt (vgl. die
Presseerklärung des Hessischen Ministeriums des Innern und für Sport vom 30.
Mai 2017, „Innenministerium prüft Verpflichtungserklärungen“, abrufbar unter:
https://innen.hessen.de/pressearchiv/pressemitteilung/innenministerium-prueft-verpflichtungserklaerungen-0).
Erst
mit dem durch das Integrationsgesetz neu eingefügten § 68 Abs. 1 Satz 4
AufenthG wurde ausdrücklich gesetzlich bestimmt, dass die
Verpflichtungserklärung vor Ablauf des Gültigkeitszeitraums von fünf – bzw.
drei Jahren bei Übergangsfällen – ab Einreise des Ausländers nicht durch
Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Abschnitt 5 des Kapitels 2 des
Aufenthaltsgesetzes oder durch Anerkennung nach § 3 oder § 4 AsylG erlischt.
Auch das Bundesverwaltungsgericht hat mit seinem Urteil vom 26. Januar 2017 – 1
C 10/16 – unabhängig von dieser Neuregelung entschieden, dass die zur Ermöglichung
einer Einreise als Bürgerkriegsflüchtling nach § 23 Abs. 1 AufenthG in
Verbindung mit einer Landesaufnahmeanordnung abgegebene Verpflichtungserklärung
in diesen Fällen weiterhin Geltung beansprucht. Beide Aufenthaltserlaubnisse
seien solche aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen im
Sinne des Kapitels 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes, weshalb ihnen
derselbe Aufenthaltszweck zugrunde liege (BVerwGE 157, 208 = juris, Rn. 27
ff.).
Die
verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung hat sich diesem Ergebnis bei Auslegung
der solch einer Verpflichtungserklärung zugrunde liegenden Willenserklärung aus
dem davor liegenden Zeitraum zum Teil angeschlossen. Bis heute wird infolge
dieser Situation in solchen Fällen aber ebenso die Auslegung vertreten, dass
der Zeitraum nach der Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen nach § 25 AufenthG
nicht mehr erfasst sei (vgl. hierzu oben u.a. den Überblick über die
oberverwaltungsgerichtliche Rechtsprechung). Zwar beziehen sich die jeweiligen
Auslegungsergebnisse – jedenfalls zum Teil – auf die konkrete Situation in dem
jeweiligen Bundesland, in welchem die Erklärung abgegeben worden ist, und
einzelne Formulierungen in den zur Anwendung kommenden
Landesaufnahmeanordnungen. Dies ändert aber nichts daran, dass für den als
Verpflichtungsgeber in der Regel auftretenden juristischen Laien diese
Differenzierungen kaum nachvollziehbar sein dürften und im Hinblick auf den
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit jedenfalls eine Auseinandersetzung mit dieser
besonderen Situation in dem Leistungsbescheid erforderlich werden lassen.
Dies
gilt im Falle des Klägers. Der hier geltend gemachte Erstattungsanspruch geht
über die erkennbaren Vorstellungen des Hessischen Innenministeriums hinaus und
widerspräche der dort für angemessen gehaltenen Lastenverteilung zwischen
Verpflichtungsgebern und der öffentlichen Hand. Auch nach der Entscheidung des
Bundesverwaltungsgerichts vom 26. Januar 2017 hat das Hessische
Innenministerium fortlaufend Bemühungen mit dem Ziel unternommen, eine Begrenzung
möglicher Auswirkungen dieser Entscheidung zu erreichen (vgl. hierzu erneut die
Presseerklärung des Hessischen Ministeriums des Innern und für Sport vom 30. Mai
2017, „Innenministerium prüft Verpflichtungserklärungen“). Diese belegen, dass
in Hessen über eine bloße Rechtsauffassung hinausgehend auch der politische
Wille bestand, die Haftung nur auf solche Zeiträume zu erstrecken, in denen der
begünstige Ausländer einen Aufenthaltstitel nach § 23 Abs. 1 AufenthG innehat,
wenngleich dies in der entsprechenden Landesaufnahmeanordnung nicht hinreichend
deutlich zum Ausdruck gebracht worden sein dürfte (vgl. allgemein zur
Berücksichtigung solcher Umstände: OVG Nds, Urteil vom 11. Februar 2019 – 13 LB
435/18 –, juris, Rn. 44 und 55).
In
diesem Sinne sieht auch die Weisung 201903003 der Bundesagentur für Arbeit vom
1. März 2019 (Geschäftszeichen: GR 1 – AZ: II-1101 / CF 2 – AZ: 3450) zum
„Umgang mit den Erstattungsforderungen aus Verpflichtungserklärungen nach §§ 68,
68a Aufenthaltsgesetz im Rahmen der Landesaufnahmeprogramme“ mittlerweile vor,
dass von einer Heranziehung des Verpflichtungsgebers im Ermessenswege abzusehen
ist, wenn die zuständige oberste Landesausländerbehörde oder eine andere
Behörde anderweitig – also jenseits einer ausdrücklichen Beschränkung der
Haftung in der zur Anwendung kommenden Landesaufnahmeanordnung – verlautbart
hat, dass die Haftung aus Verpflichtungserklärungen begrenzt sein soll, etwa in
entsprechenden Erlassen, Antworten auf Anfragen aus dem Landtag, in
Verwaltungsvorschriften der Länder, in Pressemitteilungen oder auf
Bürgeranfragen. Dies – so die weiteren Ausführungen in dieser Weisung – sei
konkret für Verpflichtungserklärungen der Fall, die in Bezug auf die
Landesaufnahmeprogramme der Länder Hessen, Niedersachsen und
Nordrhein-Westfalen abgegeben worden seien oder in Bezug auf anderweitige
Landesaufnahmeprogramme gegenüber einer Ausländerbehörde der vorgenannten Länder.
Hinzu
kommt ein weiteres: Mit der (1.) Anordnung vom 24. Februar 2014 zur Änderung
der Hessischen Aufnahmeanordnung vom 19. September 2013 wurde ausdrücklich
geregelt, dass Kosten für Leistungen bei Krankheit, Schwangerschaft, Geburt,
Pflegebedürftigkeit und Behinderung im Sinne der §§ 4, 6 AsylbLG von der
Verpflichtungserklärung ausgenommen werden und diese Leistungen nach §§ 4, 6
AsylbLG von den zuständigen Behörden zu gewähren sind; der Nachranggrundsatz
gemäß § 8 Abs. 1 S. 1 AsylbLG soll insoweit nicht greifen. Es fehlt jeglicher
Anhaltspunkt dazu, dass sich der Beklagte mit dieser Einschränkung und der
sachlichen Reichweite dieser Regelung zu irgendeinem Zeitpunkt befasst hat. Es
erschließt sich nicht, warum selbst unter der Annahme, dass die Hessische
Aufnahmeanordnung eine durchgehende Haftung der Garantiegeber beabsichtige, von
einem Sozialleistungsträger auf Grundlage der Vorschriften des SGB II und SGB V
gezahlte Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung trotz dieser
ausdrücklichen Begrenzung erfasst sein sollten (vgl. hierzu auch: VG Gießen,
Urteil vom 22. August 2018 – 6 K 3886/16.GI –, juris, Rn. 25, zu der Annahme,
mit der Hessischen Aufnahmeanordnung sei beabsichtigt gewesen, die gesamte
Aufenthaltsdauer des Ausländers zu erfassen, weswegen erst Recht auch die nach
dem SGB II und SGB V gezahlten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung mit
dieser Neuregelung von der Haftung ausgenommen werden sollten). Es drängte sich
daher geradezu auf, sich bei Festsetzung von Kranken- und
Pflegeversicherungsbeiträgen mit dieser Änderung der Hessischen
Aufnahmeanordnung auseinanderzusetzen.
All
diese das Ermessen eröffnenden Umstände waren vom Beklagten bei Erlass des
Leistungsbescheids zu würdigen. Es liegt nahe, dass die Ausländerbehörde den
Kläger schon bei Entgegennahme der Verpflichtungserklärung auf die
unterschiedlichen Rechtsauffassungen zur Auslegung und damit zur zeitlichen
Reichweite der Formularerklärung hätte hinweisen müssen. Jedenfalls hätte der
Beklagte sich mit einer solchen Belehrungspflicht und den oben aufgeführten
weiteren Umständen auseinandersetzen müssen, bevor er die hier
streitgegenständlichen Beträge festsetzte, die sich ausschließlich auf für die
eingeladenen Personen nach der Flüchtlingsanerkennung gezahlte Sozialleistungen
bezogen.
Allein
der Umstand, dass die Verpflichtungsklärung zwei Monate nach Ablauf der in der
Hessischen Aufnahmeanordnung unter Ziffer II. 7. normierten und zuletzt bis zum
5. Juli 2015 verlängerten „Frist für die Antragstellung“ entgegengenommen
wurde, führt zu keiner abweichenden Beurteilung. Nach der in Hessen zuletzt
gültigen 4. Anordnung vom 29. Dezember 2014 zur Änderung der Hessischen
Aufnahmeanordnung vom 19. September 2013 wurde lediglich die Frist für die
Antragstellung für die Teilnahme am Aufenthaltsprogramm auf den Zeitraum vom 5.
Januar bis zum 5. Juli 2015 begrenzt. Maßgeblich für die Fristeinhaltung war
der Zeitpunkt der Antragstellung bei der Ausländerbehörde für die Teilnahme am
Aufenthaltsprogramm (vgl. hierzu die [2.] Anordnung vom 31. Mai 2014 zur
Änderung der Hessischen Aufnahmeanordnung vom 19. September 2013). Auf den von
dem Beklagten in diesem Zusammenhang genannten Zeitpunkt bei Abgabe der
Verpflichtungserklärung kommt es hiernach nicht an, um überhaupt unter den
Anwendungsbereich der Hessischen Aufnahmeanordnung fallen zu können. Den
eingeladenen Personen wurden unmittelbar nach ihrer Einreise durch die oberste
Landesbehörde Aufenthaltserlaubnisse nach § 23 Abs. 1 AufenthG erteilt (vgl.
Bl. 135 ff. d. VA). Zudem wurde ihre Einreise an eine zuvor für sie abgegebene
Verpflichtungserklärung geknüpft. Die Vorgehensweise bei der Ausländerbehörde
der Stadt Wiesbaden war auch ansonsten dieselbe wie bei Entgegennahme der
weiteren von dem Kläger für syrische Staatsangehörige bereits abgegebenen
Verpflichtungserklärungen vom 29. Januar und 15. April 2014, was sich u.a. aus
den vom Kläger selbst vorgelegten Belehrungsformularen und den älteren Verpflichtungserklärungen
ergibt.
2. Ein
atypischer Fall ist aber auch deshalb gegeben, weil die finanzielle
Leistungsfähigkeit des Klägers von der Ausländerbehörde im Verwaltungsverfahren
nicht ordnungsgemäß überprüft worden ist. In dem Formular der
Verpflichtungserklärung des Klägers vom 1. September 2015 ist vermerkt, dass
seine Bonität geprüft und glaubhaft gemacht worden sei. In den zu dieser
Verpflichtungserklärung vorliegenden Verwaltungsakten der Ausländerbehörde
findet sich nur eine handschriftlich verfasste Berechnung der finanziellen
Leistungsfähigkeit des Klägers (Bl. 120 d. VA). Diese Berechnung ist jedoch
offensichtlich an mehreren Stellen fehlerhaft. Schon die dem Kläger zur
Verfügung stehenden Mittel sind dort nicht korrekt berechnet.
Zur
Ermittlung des Eigenbehalts der einladenden Person ist aufgrund vorgelegter
Lohnabrechnungen das durchschnittliche Nettoeinkommen nach Maßgabe des § 850e
Nr. 1 ZPO zu bestimmen. Die nach § 850a Nr. 2 und 4 ZPO unpfändbaren Teile sind
vom Nettobetrag abzuziehen. Das pfändbare Einkommen ergibt sich dann unter
Berücksichtigung der jeweiligen Anzahl von Unterhaltspflichtigen aus der
Tabelle zu § 850c ZPO (vgl. Zeitler, in: HTK-AuslR, Stand: Mai 2019, § 68
AufenthG – Verpflichtungserklärung, Rn. 7 unter Bezugnahme auf BVerwG, Urteil
vom 18. April 2013 – 10 C 10/12 –, juris, Rn. 34).
Zwar
entspricht das von der Ausländerbehörde zugrunde gelegte Nettomonatseinkommen in
Höhe von 4.755,33 € dem Mittelwert der dem Kläger in den Monaten Juni bis
August 2015 als „Gesetzliches Netto“ ausgezahlten Beträge. Hierbei handelt es
sich jedoch nicht um das durchschnittliche Nettoeinkommen nach § 850e Nr. 1
ZPO. Denn von diesem „Gesetzlichen Netto“ sind die Beiträge zur freiwilligen
Kranken- und Pflegeversicherung ebenso abzuziehen wie die monatlich geleisteten
Zahlungen auf die Berufsständische Altersversorgung und die Vermögenswirksamen
Leistungen des Arbeitgebers (vgl. Becker, in: Musielak/Voit, ZPO, 16. Auflage
2019, § 850e Rn. 3-5; Riedel, in: Vorwerk/Wolf, BeckOK ZPO, 34. Edition, Stand:
1. September 2019, § 850e Rn. 3 ff.). Allein hierdurch verringert sich das
maßgebliche Nettoeinkommen um 998,58 € auf monatlich 3.756,75 €. Unter
Berücksichtigung der zum September 2015 gültigen Bekanntmachung zu den §§ 850c
und 850f der Zivilprozessordnung – Pfändungsfreigrenzenbekanntmachung 2015 –
vom 14. April 2015 (BGBl. I S. 618) ergibt sich hieraus für den zum damaligen
Zeitpunkt noch unverheirateten Kläger ohne Kind ein pfändbares Einkommen in
Höhe von 2.015,94 € (1.551,28 € gemäß der Tabelle + 464,66 €). Demgegenüber ist
die Ausländerbehörde in ihrer Berechnung unzutreffend von einem weit höher
liegenden Betrag in Höhe von 3.519,48 € ausgegangen, der dem Kläger zur
Verteilung zur Verfügung stehe und gegen ihn vollstreckt werden könne.
Auf
der anderen Seite hat die Ausländerbehörde eine Bedarfsberechnung aufgestellt,
die sich nicht nur auf die von der hier streitgegenständlichen Verpflichtungserklärung
umfassten Personen bezog, sondern zusätzlich hierzu auf eine weitere
Verpflichtungserklärung des Klägers betreffend die „Familie H.“ – eine Nichte
des Klägers mit drei Kindern. Der in dieser Berechnung von der Ausländerbehörde
ermittelte Gesamtbedarf für diese beiden Familien von 2.189,00 € übersteigt das
pfändbare Einkommen des Klägers.
Aber
auch die Bedarfsermittlung der Ausländerbehörde an sich erscheint unzureichend.
Sie hat nämlich lediglich den einfachen Regelsatz zur Sicherung des
Existenzminimums nach § 27a SGB XII auf Seiten der eingeladenen Personen in
Höhe der damals gültigen Beträge abgezogen, ohne jedenfalls auch Kosten der
Unterkunft als zusätzlichen Bedarf zu berücksichtigen.
Hinsichtlich
der Höhe des Bedarfs der eingeladenen Personen ist bei voraussichtlichen
Kurzaufenthalten der einfache, anderenfalls der eineinhalbfache Regelsatz als
Orientierungswert heranzuziehen, in beiden Fällen jedoch zuzüglich der Kosten
der Unterkunft sowie zuzüglich konkret gegebener oder sich abzeichnender
Mehrbedarfe (vgl. Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, Stand: April 2017, § 68 Rn. 14
m.w.N.).
Diese
Kosten für die schon von der Ausländerbehörde berücksichtigten beiden Familien
mit insgesamt sieben Personen konnten von dem Kläger offenkundig nicht getragen
werden.
Seine
Leistungsunfähigkeit wird noch evidenter, wenn man den tatsächlich von dem
Kläger geforderten Erstattungsbetrag heranzieht. Allein hinsichtlich der hier
streitgegenständlichen Verpflichtungserklärung ergibt sich ein tatsächlicher
monatlicher Gesamtbedarf aller drei Personen in Höhe von 2.241,00 € (=
24.645,55 € Erstattungsbetrag geteilt durch 11 Monate) gegenüber einem von der
Ausländerbehörde ermittelten Gesamtbedarf dieser Personen von nur 1.022,00 €.
Dies
zeigt zugleich, dass selbst unter Berücksichtigung der vom Verwaltungsgericht
angenommenen wirtschaftliche Besserstellung des Klägers zu einem späteren
Zeitpunkt sowie der vom Beklagten erwähnten Sonderzahlungen und
Steuerrückerstattungen die Frage der Zumutbarkeit seiner Inanspruchnahme in dem
streitgegenständlichen Bescheid oder – spätestens – dem Widerspruchsbescheid
angesichts der unzureichenden Feststellungen durch die Ausländerbehörde
umfassend zu würdigen war (vgl. zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt nach
der Sach- und Rechtslage bei der letzten behördlichen Entscheidung: BVerwG,
Urteil vom 26. Januar 2017 – 1 C 10/16 –, juris, Rn. 17 m.w.N.).
Gerade
im Hinblick darauf, dass der Kläger bei einer schon bestehenden und selbst von
der Ausländerbehörde bei ihrer Berechnung berücksichtigten
Verpflichtungserklärung für insgesamt vier Personen sich mit der hier
streitgegenständlichen Erklärung zur Übernahme der Lebensunterhaltungskosten
für drei weitere Personen verpflichtet hatte, war eine genauere Prüfung der
finanziellen Leistungsfähigkeit des Verpflichtungsgebers selbst schon zum
Zeitpunkt der Abgabe der Verpflichtungserklärung unerlässlich. Dies gilt hier
im Besonderen, da der Kläger ebenfalls am 1. September 2015 gegenüber derselben
Ausländerbehörde eine dritte Verpflichtungserklärung abgegeben hatte, die drei
weitere Personen betraf und jedenfalls der Ausländerbehörde bekannt gewesen
sein muss (vgl. zur geforderten Berücksichtigung aller vom Garantiegeber
abgegebenen Verpflichtungserklärungen bei Prüfung der finanziellen
Zumutbarkeit: BVerwG, Urteil vom 26. Januar 2017 – 1 C 10/16 –, juris, Rn. 35).
Dass sich der Kläger darüber hinaus in der Vergangenheit in zwei weiteren
Fällen verpflichtet hatte, die Kosten für insgesamt sechs Personen zu
übernehmen, sei nur noch am Rande erwähnt. Zumindest die von ihm im August 2013
gegenüber der Ausländerbehörde der Stadt Trier abgegebene
Verpflichtungserklärung für einen dreimonatigen Besuchsaufenthalt dürfte
offenkundig keine finanziellen Auswirkungen mehr für den Kläger mit sich
gebracht haben und der Ausländerbehörde der Stadt Wiesbaden nicht ohne Weiteres
bekannt gewesen sein.
Die
Entgegennahme der hier streitgegenständlichen Verpflichtungserklärung nach
lediglich kursorischer Bonitätsprüfung und ohne Berücksichtigung der
Unterkunftskosten führt zu der Annahme, dass selbst die Ausländerbehörde zu
keinem Zeitpunkt davon ausgegangen sein dürfte, dass der Kläger den Unterhalt
der begünstigen Ausländer für einen längeren Zeitraum sicherstellen wollte und
sollte.
Zwar
hat der Kläger ausweislich der Verpflichtungserklärung und eines zusätzlich von
ihm unterzeichneten Belehrungsformulars erklärt, zur Übernahme der
Verpflichtung wirtschaftlich in der Lage zu sein. Dies entlastet die
Ausländerbehörde aber nicht, seine Angaben – gerade in einer Situation wie hier
– zuverlässig und stichhaltig zu überprüfen (vgl. auch Nr. 68. Januar 2.3 der
Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz – AVwV AufenthG – vom
26. Oktober 2009, GMBl. S. 877). Die Ausländerbehörde muss den Wahrheitsgehalt
abgegebener Verpflichtungserklärungen auch im öffentlichen Interesse bezüglich
der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Erklärenden überprüfen.
Verpflichtungserklärungen können ihren Zweck nur erfüllen, wenn eine gewisse
Gewähr dafür gegeben ist, dass ihnen gemäß auch tatsächlich Kosten getragen
werden (BVerwG, Beschluss vom 16. Juli 1997 – 1 B 138/97 –, juris, Rn. 7 f.).
3. Die
danach aus mehreren Gründen erforderliche Ermessensentscheidung über die
Heranziehung des Klägers auf Grundlage der Verpflichtungserklärung hat der
Beklagte nicht getroffen. Im angefochtenen Bescheid vom 14. Juni 2017 sowie im
Widerspruchsbescheid vom 13. Dezember 2017 finden sich keinerlei Erwägungen,
die erkennen lassen, dass der Beklagte die Notwendigkeit einer
Ermessensentscheidung erkannt und das ihm zukommende Ermessen betätigt hat.
Insbesondere die standardmäßig enthaltene Wendung "Unter Abwägung aller
Gesichtspunkte, bin ich zu der Entscheidung gekommen, Sie zur Erstattung der
für ... geleisteten Hilfen aufzufordern." belegt keine Ermessensausübung.
Eine solche ist auch nicht der daran anschließenden Formulierung zu entnehmen,
„weder das Vorbringen des Klägers noch die Aktenlage lasse eine unbillige Härte
erkennen“. Damit ist eine Ermessensentscheidung nicht getroffen, sondern deren
Erforderlichkeit gerade verneint worden. Abgesehen davon ist nicht ersichtlich,
dass der Beklagte bei seiner Entscheidung die besondere Situation in Hessen und
die unklare Rechtslage im Bundesgebiet berücksichtigt hat oder die erkennbar
zweifelhafte finanzielle Leistungsfähigkeit des Klägers von ihm überhaupt
erkannt worden ist. Die daraus folgende Ermessensfehlerhaftigkeit im Sinne des
§ 114 Satz 1 VwGO, hier in Form des Ermessensausfalls, konnte im
verwaltungsgerichtlichen Verfahren durch eine Nachholung von
Ermessenserwägungen nicht geheilt werden. § 114 Satz 2 VwGO schafft die
prozessualen Voraussetzungen lediglich dafür, dass die Behörde defizitäre
Ermessenserwägungen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen kann, nicht
hingegen dafür, dass sie ihr Ermessen nachträglich erstmals ausübt (vgl. OVG
NRW, Urteil vom 8. Dezember 2017 – 18 A 1125/16 –, juris, Rn. 63; OVG Nds,
Urteil vom 11. Februar 2019 – 13 LB 441/18 –, juris, Rn. 60 m.w.N.).
III.
Die
Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Der
Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO
i.V.m. § 708 Nr. 10 und § 711 ZPO.
Die
Revision war nicht zuzulassen, da Gründe der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Art
nicht vorliegen.
Beschluss
Der
Wert des Streitgegenstandes wird für das Berufungsverfahren auf 24.645,55 €
festgesetzt (§ 63 Abs. 2, § 52 Abs. 3 GKG).