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Rechtsprechungsarchiv
des Oberverwaltungsgerichts
Rheinland-Pfalz e.V.
Deinhardpassage 1
56068 Koblenz

4 L 416/19.NW

GerichtVG NeustadtAktenzeichen4 L 416/19.NW
EntscheidungsartBeschlussDatum
30.04.2019
veröffentlicht in
rechtskräftigNein
Leitsatz
Bei Kontrollberichten einer Lebensmittelüberwachungsbehörde, in denen Auffälligkeiten dokumentiert sind, handelt es sich nicht um von einer "nach Bundes- oder Landesrecht zuständigen Stelle festgestellte nicht zulässige Abweichungen". Dazu müsste eine juristische Einordnung erfolgen.
RechtsgebieteLebensmittelrecht, Verbraucherinformationsgesetz
SchlagworteAbweichung, Beanstandung, Kontrollbericht, Lebensmittelkontrolle, Lebensmittelrecht, Lebensmittelüberwachung, Lebensmittel, Kontrolle, Rechtsverstoß, Verbraucherinformationsgesetz, Zuständigkeit, Überwachung, Verbraucherinformation
NormenVIG § 2,VIG § 2 Abs 1,VIG § 2 Abs 1 S 1,VIG § 2 Abs 1 S 1 Nr 1,VIG § 5,VIG § 5 Abs 4,VIG § 5 Abs 4 S 1,VwGO § 80,VwGO § 80 Abs 5,VwGO § 80 Abs 5 S 1,VwGO § 80 Abs 5 S 1 Alt 1
Volltext

Tenor

Es wird festgestellt, dass der Widerspruch der Antragstellerin vom 10. April 2019 gegen den Auskunftsbescheid des Antragsgegners vom 3. April 2019 aufschiebende Wirkung hat.

Die Kosten des Verfahrens, mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, trägt der Antragsgegner.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500,00 € festgesetzt.

 

Gründe

1

Der Antrag der Antragstellerin auf vorläufigen Rechtsschutz hat teilweise Erfolg. Mit ihrem Hauptantrag, der auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen Auskunftsbescheid des Antragsgegners vom 3. April 2019 gerichtet ist, kann sie nicht durchdringen. Der Hilfsantrag, mit dem sie die Feststellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs begehrt, hat jedoch Erfolg.

 

I.

2

Der Hauptantrag ist schon unzulässig, weil er unstatthaft ist.

3

Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des § 80 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen. Voraussetzung für die Statthaftigkeit eines Antrags nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO ist demnach, dass die grundsätzliche aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage (§ 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO) aufgrund des Vorliegens eines der Fälle des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 VwGO ausnahmsweise entfällt. Das ist hier aber nicht der Fall.

4

Zwar haben gemäß § 5 Abs. 4 Satz 1 Verbraucherinformationsgesetz – VIG – Widerspruch und Anfechtungsklage gegen Auskunftsbescheide in den in § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG genannten Fällen keine aufschiebende Wirkung, sodass grundsätzlich ein Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO vorliegen kann. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin entfällt hier aber nicht gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 5 Abs. 4 Satz 1 VIG, weil der streitgegenständliche Bescheid keinen Fall des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG betrifft.

5

Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG hat jeder nach Maßgabe des VIG Anspruch auf freien Zugang zu allen Daten über von den nach Bundes- oder Landesrecht zuständigen Stellen festgestellte nicht zulässige Abweichungen von Anforderungen des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches und des Produktsicherheitsgesetzes, der auf Grund dieser Gesetze erlassenen Rechtsverordnungen, unmittelbar geltender Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft oder der Europäischen Union im Anwendungsbereich der genannten Gesetze sowie Maßnahmen und Entscheidungen, die im Zusammenhang mit den Abweichungen getroffen worden sind.

6

Laut ihrem Bescheid vom 3. April 2019 beabsichtigt der Antragsgegner, der Beigeladenen zwei Kontrollberichte der Lebensmittelüberwachung unverändert zur Verfügung zu stellen, die Lebensmittelkontrollen in einem Betrieb der Antragstellerin betreffen. Die Kontrollberichte stellen aber keine von einer „nach Bundes- oder Landesrecht zuständigen Stelle festgestellte nicht zulässige Abweichungen“ von Anforderungen der in § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG genannten Vorschriften dar.

7

Was eine von einer „nach Bundes- oder Landesrecht zuständigen Stelle festgestellte nicht zulässige Abweichung“ ist, ist im VIG nicht legal definiert.

8

In der Vorgängerfassung des VIG war keine „Abweichung“ gefordert, sondern ein „Rechtsverstoß“. Der Begriff des Rechtsverstoßes wurde in der Rechtsprechung unterschiedlich ausgelegt. Es bestand Uneinigkeit, ob bereits die Feststellung einer Abweichung eines Untersuchungsergebnisses von Rechtsvorschriften – häufig „Beanstandung“ genannt – als primär auf der Basis naturwissenschaftlich – analytischer Erkenntnis beruhend ausreicht oder ob diese Feststellung maßgeblich einer zusätzlichen juristisch-wertenden Einordnung bedarf und durch die zuständige Überwachungsbehörde erfolgen muss. Die Änderung des Tatbestands dahingehend, dass nunmehr eine „Abweichung“ festgestellt werden muss, erfolgte laut der Gesetzesbegründung zur Klarstellung (vgl. BT-Drucks. 17/7374, S. 15). Zur Definition verweist die Gesetzesbegründung auf Artikel 2 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 882/2004 vom 29. April 2004, in der ein „Verstoß“ allgemein als die „Nichteinhaltung des Futtermittel- oder Lebensmittelrechts und der Bestimmungen über Tiergesundheit und Tierschutz“ definiert ist.

9

Damit ist allerdings lediglich klargestellt, dass jede Normabweichung eine „nicht zulässige Abweichung“ i.S.d. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. VIG ist. Die Abweichung muss aber zudem von einer „nach Bundes- oder Landesrecht zuständigen Stelle festgestellt“ sein. Dieses Tatbestandsmerkmal ist vorliegend nicht erfüllt. Der Antragsgegner beabsichtigt, die beiden Kontrollberichte unkommentiert und in ihrer Urfassung an die Beigeladene herauszugeben. Bei den Kontrollberichten handelt es sich aber nicht um von einer „nach Bundes- oder Landesrecht zuständigen Stelle festgestellte nicht zulässige Abweichungen“. Dazu müsste eine juristische Einordnung erfolgen, die hier nicht stattgefunden hat.

10

Zwar bedarf die Feststellung keiner besonderen Rechtsqualität, insbesondere ist keine verwaltungsrechtliche Sanktions- oder Vollzugsentscheidung bzw. ein Ordnungswidrigkeiten- oder Strafverfahren für die Feststellung erforderlich (Bayerischer VGH, Urteil vom 16. Februar 2017 – 20 BV 15.2208 –, Rn. 47 f., juris; VG Ansbach, Urteil vom 18. März 2014 – AN 1 K 13.01466 –, Rn. 181, juris). Zur Feststellung genügen sowohl Verwaltungsakte als auch Realakte, wobei ein bestandskräftiger Verwaltungsakt für die Feststellung aber nicht erforderlich ist. Es genügen auch Normabweichungen, die Grundlage für bloße Hinweise der Behörde sind. Ebenso sollen bereits Subsumtionen in fachlichen Stellungnahmen ausreichen (Heinicke, in: Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, 172. Ergänzungslieferung, November 2018, VIG § 2 Rn. 24 – 26). Die Lebensmittelkontrolleure vor Ort besitzen auch die fachliche und rechtliche Kompetenz, anlässlich von Betriebskontrollen nicht zulässige Abweichungen von den oben bezeichneten Vorschriften festzustellen. Die fachlich geschulten Mitarbeiter sind in der Lage, zwischen vorübergehenden, produktionsablaufbedingten Verunreinigungen von Betriebsmitteln und Verstößen gegen das Lebensmittel- bzw. Hygienerecht zu unterscheiden (VG Ansbach, Urteil vom 18. März 2014 – AN 1 K 13.01466 –, Rn. 183, juris).

11

Jedenfalls aber muss eine rechtliche Subsumtion der Kontroll- und Untersuchungsergebnisse durch die zuständige Vollzugsbehörde erfolgt sein. Bloße Mitteilungen eines Wissensstandes reichen ebenso wenig aus wie schlichte Protokolle der Betriebskontrolle (Bayerischer VGH, Urteil vom 16. Februar 2017 – 20 BV 15.2208 –, Rn. 47, 49 52, juris; Schulz, in: PdK Bund, 3. Fassung 2018, VIG, § 2 Nr. 5.1.1). Es muss vielmehr eine konkrete Normabweichung festgestellt werden (OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 12. Dezember 2016 – 13 A 2059/15 –, Rn. 98, juris; OVG Lüneburg, Beschluss vom 24. Oktober 2017 – 10 LA 90/16 –, Rn. 20, juris). In dem vom Antragsgegner zitierten Verfahren 1 L 103/19.MZ vor dem Verwaltungsgericht Mainz ging es auch nicht um die Herausgabe bloßer Kontrollberichte, sondern um eine von der Behörde verfasste zusammenfassende Darstellung von Abweichungen.

12

Etwaige „Abweichungen“ i.S.d. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG sind in den hiesigen Kontrollberichten nicht von einer „nach Bundes- oder Landesrecht zuständigen Stelle festgestellt“. Hierzu bedarf es auch bei großzügiger Auslegung der Vorschrift einer juristischen Bewertung. In den Kontrollberichten sind noch nicht einmal Normen genannt, gegen die aufgrund der tatsächlichen Feststellungen, die protokolliert sind, verstoßen worden sein könnte. Es ist auch nicht die Aufgabe des Gerichts, solche Normen zu suchen und einen eventuellen Verstoß zu subsumieren. Unter § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG fallen ausschließlich bereits festgestellte – d.h. rechtlich subsumierte – Abweichungen von den entsprechenden Vorschriften und nicht auch rein tatsächliche Feststellungen, die eventuell unter eine Norm subsumiert werden können.

 

II.

13

Der Hilfsantrag hat Erfolg, weil die streitgegenständlichen Kontrollberichte nicht unter § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG fallen (s.o.) und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin daher nicht gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 i.V.m. § 5 Abs. 4 Satz 1 VIG entfällt. Der Widerspruch hat gemäß § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO tatsächlich aufschiebende Wirkung.

 

III.

14

Die Kostenentscheidung beruht auf den § 154 Abs. 1 und 3, § 162 Abs. 3 VwGO. Obwohl die Antragstellerin mit ihrem Hauptantrag unterlegen ist, waren die Kosten dem Antragsgegner ganz aufzuerlegen, weil der Hilfsantrag denselben Streitgegenstand betrifft. Die Antragstellerin hätte sogar auf die förmliche (Hilfs-)Antragstellung verzichten können, weil die Feststellung der aufschiebenden Wirkung dem Hauptantrag hier immanent ist. Sie wirkt sich daher kostenmäßig nicht aus.

15

Da die Beigeladene keinen Sachantrag gestellt und so auch kein eigenes Prozesskostenrisiko nach § 154 Abs. 3 VwGO übernommen hat, ist es sachgerecht, dass sie ihre außergerichtlichen Kosten nicht ersetzt erhält.

16

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf den § 52 Abs. 1 und 2, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 63 Gerichtskostengesetz – GKG – i.V.m. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom Juli 2013.