Tenor
Es wird
festgestellt, dass der Widerspruch der Antragstellerin vom 10. April 2019 gegen
den Auskunftsbescheid des Antragsgegners vom 3. April 2019 aufschiebende
Wirkung hat.
Die Kosten des
Verfahrens, mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, trägt
der Antragsgegner.
Der Wert des
Streitgegenstandes wird auf 2.500,00 € festgesetzt.
Gründe
Der Antrag der
Antragstellerin auf vorläufigen Rechtsschutz hat teilweise Erfolg. Mit ihrem
Hauptantrag, der auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres
Widerspruchs gegen Auskunftsbescheid des Antragsgegners vom 3. April 2019
gerichtet ist, kann sie nicht durchdringen. Der Hilfsantrag, mit dem sie die
Feststellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs begehrt, hat jedoch
Erfolg.
I.
Der Hauptantrag ist
schon unzulässig, weil er unstatthaft ist.
Gemäß § 80 Abs. 5
Satz 1 Alt. 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – kann das Gericht der
Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des § 80 Abs. 2 Nr. 1 bis 3
VwGO ganz oder teilweise anordnen. Voraussetzung für die Statthaftigkeit eines
Antrags nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO ist demnach, dass die
grundsätzliche aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage (§ 80
Abs. 1 Satz 1 VwGO) aufgrund des Vorliegens eines der Fälle des § 80 Abs. 2
Satz 1 Nr. 1 bis 3 VwGO ausnahmsweise entfällt. Das ist hier aber nicht der Fall.
Zwar haben gemäß §
5 Abs. 4 Satz 1 Verbraucherinformationsgesetz – VIG – Widerspruch und
Anfechtungsklage gegen Auskunftsbescheide in den in § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG
genannten Fällen keine aufschiebende Wirkung, sodass grundsätzlich ein Fall des
§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO vorliegen kann. Die aufschiebende Wirkung des
Widerspruchs der Antragstellerin entfällt hier aber nicht gemäß § 80 Abs. 2
Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 5 Abs. 4 Satz 1 VIG, weil der streitgegenständliche
Bescheid keinen Fall des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG betrifft.
Gemäß § 2 Abs. 1
Satz 1 Nr. 1 VIG hat jeder nach Maßgabe des VIG Anspruch auf freien Zugang zu
allen Daten über von den nach Bundes- oder Landesrecht zuständigen Stellen
festgestellte nicht zulässige Abweichungen von Anforderungen des Lebensmittel-
und Futtermittelgesetzbuches und des Produktsicherheitsgesetzes, der auf Grund
dieser Gesetze erlassenen Rechtsverordnungen, unmittelbar geltender Rechtsakte
der Europäischen Gemeinschaft oder der Europäischen Union im Anwendungsbereich
der genannten Gesetze sowie Maßnahmen und Entscheidungen, die im Zusammenhang
mit den Abweichungen getroffen worden sind.
Laut ihrem Bescheid
vom 3. April 2019 beabsichtigt der Antragsgegner, der Beigeladenen zwei
Kontrollberichte der Lebensmittelüberwachung unverändert zur Verfügung zu
stellen, die Lebensmittelkontrollen in einem Betrieb der Antragstellerin
betreffen. Die Kontrollberichte stellen aber keine von einer „nach Bundes- oder
Landesrecht zuständigen Stelle festgestellte nicht zulässige Abweichungen“ von
Anforderungen der in § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG genannten Vorschriften dar.
Was eine von einer
„nach Bundes- oder Landesrecht zuständigen Stelle festgestellte nicht zulässige
Abweichung“ ist, ist im VIG nicht legal definiert.
In der
Vorgängerfassung des VIG war keine „Abweichung“ gefordert, sondern ein
„Rechtsverstoß“. Der Begriff des Rechtsverstoßes wurde in der Rechtsprechung
unterschiedlich ausgelegt. Es bestand Uneinigkeit, ob bereits die Feststellung
einer Abweichung eines Untersuchungsergebnisses von Rechtsvorschriften – häufig
„Beanstandung“ genannt – als primär auf der Basis naturwissenschaftlich –
analytischer Erkenntnis beruhend ausreicht oder ob diese Feststellung
maßgeblich einer zusätzlichen juristisch-wertenden Einordnung bedarf und durch
die zuständige Überwachungsbehörde erfolgen muss. Die Änderung des Tatbestands
dahingehend, dass nunmehr eine „Abweichung“ festgestellt werden muss, erfolgte
laut der Gesetzesbegründung zur Klarstellung (vgl. BT-Drucks. 17/7374, S. 15).
Zur Definition verweist die Gesetzesbegründung auf Artikel 2 Nr. 10 der
Verordnung (EG) Nr. 882/2004 vom 29. April 2004, in der ein „Verstoß“ allgemein
als die „Nichteinhaltung des Futtermittel- oder Lebensmittelrechts und der
Bestimmungen über Tiergesundheit und Tierschutz“ definiert ist.
Damit ist
allerdings lediglich klargestellt, dass jede Normabweichung eine „nicht
zulässige Abweichung“ i.S.d. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. VIG ist. Die Abweichung muss
aber zudem von einer „nach Bundes- oder Landesrecht zuständigen Stelle
festgestellt“ sein. Dieses Tatbestandsmerkmal ist vorliegend nicht erfüllt. Der
Antragsgegner beabsichtigt, die beiden Kontrollberichte unkommentiert und in
ihrer Urfassung an die Beigeladene herauszugeben. Bei den Kontrollberichten
handelt es sich aber nicht um von einer „nach Bundes- oder Landesrecht
zuständigen Stelle festgestellte nicht zulässige Abweichungen“. Dazu müsste
eine juristische Einordnung erfolgen, die hier nicht stattgefunden hat.
Zwar bedarf die
Feststellung keiner besonderen Rechtsqualität, insbesondere ist keine
verwaltungsrechtliche Sanktions- oder Vollzugsentscheidung bzw. ein
Ordnungswidrigkeiten- oder Strafverfahren für die Feststellung erforderlich
(Bayerischer VGH, Urteil vom 16. Februar 2017 – 20 BV 15.2208 –, Rn. 47 f.,
juris; VG Ansbach, Urteil vom 18. März 2014 – AN 1 K 13.01466 –, Rn. 181,
juris). Zur Feststellung genügen sowohl Verwaltungsakte als auch Realakte,
wobei ein bestandskräftiger Verwaltungsakt für die Feststellung aber nicht
erforderlich ist. Es genügen auch Normabweichungen, die Grundlage für bloße
Hinweise der Behörde sind. Ebenso sollen bereits Subsumtionen in fachlichen
Stellungnahmen ausreichen (Heinicke, in: Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, 172.
Ergänzungslieferung, November 2018, VIG § 2 Rn. 24 – 26). Die
Lebensmittelkontrolleure vor Ort besitzen auch die fachliche und rechtliche
Kompetenz, anlässlich von Betriebskontrollen nicht zulässige Abweichungen von
den oben bezeichneten Vorschriften festzustellen. Die fachlich geschulten
Mitarbeiter sind in der Lage, zwischen vorübergehenden,
produktionsablaufbedingten Verunreinigungen von Betriebsmitteln und Verstößen
gegen das Lebensmittel- bzw. Hygienerecht zu unterscheiden (VG Ansbach, Urteil
vom 18. März 2014 – AN 1 K 13.01466 –, Rn. 183, juris).
Jedenfalls aber
muss eine rechtliche Subsumtion der Kontroll- und Untersuchungsergebnisse durch
die zuständige Vollzugsbehörde erfolgt sein. Bloße Mitteilungen eines
Wissensstandes reichen ebenso wenig aus wie schlichte Protokolle der
Betriebskontrolle (Bayerischer VGH, Urteil vom 16. Februar 2017 – 20 BV 15.2208
–, Rn. 47, 49 52, juris; Schulz, in: PdK Bund, 3. Fassung 2018, VIG, § 2 Nr.
5.1.1). Es muss vielmehr eine konkrete Normabweichung festgestellt werden (OVG
Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 12. Dezember 2016 – 13 A 2059/15 –, Rn. 98,
juris; OVG Lüneburg, Beschluss vom 24. Oktober 2017 – 10 LA 90/16 –, Rn. 20,
juris). In dem vom Antragsgegner zitierten Verfahren 1 L 103/19.MZ vor dem
Verwaltungsgericht Mainz ging es auch nicht um die Herausgabe bloßer
Kontrollberichte, sondern um eine von der Behörde verfasste zusammenfassende
Darstellung von Abweichungen.
Etwaige
„Abweichungen“ i.S.d. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG sind in den hiesigen
Kontrollberichten nicht von einer „nach Bundes- oder Landesrecht zuständigen
Stelle festgestellt“. Hierzu bedarf es auch bei großzügiger Auslegung der
Vorschrift einer juristischen Bewertung. In den Kontrollberichten sind noch
nicht einmal Normen genannt, gegen die aufgrund der tatsächlichen
Feststellungen, die protokolliert sind, verstoßen worden sein könnte. Es ist
auch nicht die Aufgabe des Gerichts, solche Normen zu suchen und einen
eventuellen Verstoß zu subsumieren. Unter § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG fallen
ausschließlich bereits festgestellte – d.h. rechtlich subsumierte –
Abweichungen von den entsprechenden Vorschriften und nicht auch rein
tatsächliche Feststellungen, die eventuell unter eine Norm subsumiert werden
können.
II.
Der Hilfsantrag hat
Erfolg, weil die streitgegenständlichen Kontrollberichte nicht unter § 2 Abs. 1
Satz 1 Nr. 1 VIG fallen (s.o.) und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs
der Antragstellerin daher nicht gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 i.V.m. § 5 Abs.
4 Satz 1 VIG entfällt. Der Widerspruch hat gemäß § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO
tatsächlich aufschiebende Wirkung.
III.
Die
Kostenentscheidung beruht auf den § 154 Abs. 1 und 3, § 162 Abs. 3 VwGO. Obwohl
die Antragstellerin mit ihrem Hauptantrag unterlegen ist, waren die Kosten dem
Antragsgegner ganz aufzuerlegen, weil der Hilfsantrag denselben
Streitgegenstand betrifft. Die Antragstellerin hätte sogar auf die förmliche
(Hilfs-)Antragstellung verzichten können, weil die Feststellung der
aufschiebenden Wirkung dem Hauptantrag hier immanent ist. Sie wirkt sich daher
kostenmäßig nicht aus.
Da die Beigeladene
keinen Sachantrag gestellt und so auch kein eigenes Prozesskostenrisiko nach §
154 Abs. 3 VwGO übernommen hat, ist es sachgerecht, dass sie ihre
außergerichtlichen Kosten nicht ersetzt erhält.
Die Festsetzung des
Streitwertes beruht auf den § 52 Abs.
1 und 2, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 63 Gerichtskostengesetz – GKG – i.V.m. 1.5
des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom Juli 2013.